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Das Zünglein an der Waage

■ Die polnische Freiheitsunion feiert ihr Comeback

Warschau (taz) – „Leszek! Leszek!“ skandierten die vielen jungen Leute, als die ersten Hochrechnungen über den Videoschirm flimmerten. Professor Leszek Balcerowicz lächelte, als wäre ihm soviel Sympathiebekundung doch ein bißchen peinlich, freute sich dann aber doch und guckte triumphierend in die Kamera. Der Überraschungssieger der Parlamentswahlen in Polen war am Sonntag die Freiheitsunion (UW), die mit fast 16 Prozent ein großes Comeback auf der politischen Bühne Polens feiern konnte. Sie wird im künftigen polnischen Parlament als dritte Kraft die Schlüsselrolle spielen.

Der „Architekt der Wirtschaftsreform Polens“ muß einen guten Berater gehabt haben, denn das Image vom kompetenten, aber kalten Technokraten änderte sich innerhalb weniger Monate. Hatte Balcerowicz, der Polen in den frühen 90er Jahren eine wirtschaftliche Schocktherapie verordnet hatte, um die Planwirtschaft so schnell wie möglich in eine Marktwirtschaft zu überführen, immer wieder den Zeigefinger erhoben und gemahnt, den Gürtel enger zu schnallen, so bekundete er jetzt Verständnis für den Kaufrausch der Polen. Und auch ein Hauch von Luxus gehörte zum neuen Lebensgefühl.

Nicht nur Balcerowicz zählt heute zu den beliebtesten Politikern im Lande, auch die Freiheitsunion, die das intellektuelle Erbe der Solidarność-Bewegung vertritt, genießt wieder hohes Ansehen bei der Bevölkerung. Noch im Januar wäre sie bei eventuellen Parlamentswahlen an der Fünfprozenthürde gescheitert.

Die Partei mit den „klügsten Köpfen im Lande“ diskutierte jedes Problem so lange, bis niemand mehr das Problem und schon gar nicht die Lösung sah. Das Bild eines heillos zerstrittenen Debattierklubs entstand. Mal stimmte die Partei mit dem regierenden Demokratischen Linksbündnis, mal enthielt sie sich der Stimme, dann wieder stimmte sie überraschend gegen einen Gesetzesvorschlag.

Im Januar verließ eine sogenannte Sechserbande die Partei und schloß sich der rechten Wahlaktion Solidarność an. Die Auflösung der Partei schien unmittelbar bevorzustehen. Doch offensichtlich war dieser Schock nötig, um die Freiheitsunion erneut zu mobilisieren. Die Intellektuellen gingen ab von ihrer besserwisserischen Arroganz und erkannten, daß Klugsein allein noch keinen Erfolg bringt.

Der erste Wahlslogan „Nicht links, nicht rechts, immer geradeaus“, erwies sich als Flop, als Rückfall in die alte Unentschiedenheit. Ein neuer Slogan mußte her. Mit „Kluge Wahl, besseres Leben“, einem freundlich lächelnden „Leszek“ und einer kleinen strahlenden Sonne als Parteilogo ging es dem Sieg entgegen. Jetzt muß nur noch die Wahlaktion Solidarność als Koalitionspartner mitspielen. Gabriele Lesser

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