Guter Gemischtwarenladen

■ Heute abend startet das Hamburger Filmfest mit 109 Filmen aus aller Welt

Weder fristlose Kündigungen noch Rücktrittsdrohungen gab es in den letzten drei Jahren, keine Totalabsagen oder maßlos überzogene Etats. Fast möchte man meinen, der böse Geist, der die Hamburger Film-Festivals von den 80ern bis in die Mitte der 90er Jahre heimsuchte, sei nun endgültig ins Rathaus eingefahren. Jedenfalls hat das Hamburger Filmfest unter der Leitung von Josef Wutz italienische Verhältnisse hinter sich gelassen, den Schuldenberg abgearbeitet und harrt der Dinge, die nun kommen. Und das sollen die Kinozuschauer sein, die ab heute bis zum nächsten Donnerstag zwischen 109 Filmprogrammen ihre Wahl treffen können.

Ein Filmfestival ist eine hybride Angelegenheit: kostenlose Werbe-Preview für Verleiher, die ihre Filme drei Wochen später mit zighundert Kopien starten, neben Filmen, die man sonst nicht zu Gesicht bekommen würde, Kaffeekränzchen und Nabelschau. Als Wutz das Fimfest 1995 übernahm, spöttelten Kritiker noch, es handele sich um einen Gemischtwarenladen, was er gelassen in das Kompliment ummünzte, daß er ein breites Spektrum an Zuschauern bedienen wolle. Recht hat er, denn im Zeichen des Pluralismus hat das Hamburger Filmfest nur eine Daseinsberechtigung, wenn es ein gut sortiertes und breites Sortiment an Waren präsentiert. Und das tut es.

Einen Schwerpunkt bilden unverändert englischsprachige Filme, vor allem aus den USA, die sich vornehmlich im stets breiter werdenden Fahrwasser zwischen Mainstream und Independent tummeln. Abgetragene Lederjacken und filterlose Zigaretten sind immer wieder gern gesehene Accessoires, und die Filme funktionieren entweder als Komödie oder als Thriller und möchten am liebsten beides sein. Ähnlich verhält es sich mit dem Revival des australischen Kinos, und England hat neben diversen Trainspotting-Folgen auch den gediegenen Kostüm-Schinken im Angebot.

Das iranische Kino, spätestens seit dem diesjährigen Cannes-Erfolg von Abbas Kiarostamis Der Geschmack der Kirsche kein Geheimtip mehr, ist mit vier Filmen vertreten. Kiarostamis Film, der in Hamburg laufen wird, erzählt in ruhigen Bildern die zyklische Geschichte eines Mannes mit einem Plan, für den er einen Helfer sucht, und am Ende kommt dann doch alles anders als geplant – vielleicht jedenfalls.

Genausowenig sollte man die südostasiatischen Filme verpassen, die zwischen der Hyperaktivität des John Woo-Adepten Patrick Leung in Beyond Hypothermia und der meditativen Atmosphäre von Suzaku (Naomi Kawase) liegen. Jeremy Irons, Gong Li und Maggie Gheung gemeinsam in einem Film zu sehen, ist allemal einen Besuch in Wayne Wangs Chinese Box wert.

Bei einem so gut sortierten und geführten Gemischtwarenladen betrübt nur die Wahllosigkeit, mit der Douglas-Sirk-Preis ahnungslos in die Hansestadt anreisenden Stars ins Gepäck gejubelt wird. Jodie Foster war zwei Wochen vor dem Filmfest in Hamburg, um ihren neuen Film Contact in Europa zu promoten, und, schwuppdiwupp, war ihre Asservatenkammer um ein Objekt reicher. Der Film läuft nicht auf dem Filmfest, und Jodie Foster wurde nicht einmal wegen Ladendiebstahls angezeigt.

Malte Hagener

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