■ Filmstarts à la carte: Alternde Freunde
Von einem Gangsterfilm erwartet der Zuschauer gemeinhin reichlich Action: vielleicht die Planung und Durchführung eines Überfalls oder Rivalitätskämpfe innerhalb der Bande. Oder doch wenigstens eine Jagd der Polizei auf die kriminellen Helden. In Jacques Beckers „Touchez pas au Grisbi“ (1954) haben Max (Jean Gabin) und Riton hingegen den letzten großen Coup längst bewerkstelligt, und ihre alte Freundschaft hält bombenfest. Auch scheint Paris zur polizistenfreien Zone erklärt worden zu sein, denn kein Staatsdiener läßt sich blicken. „Ich will meine Ruhe haben“, lautet Maxens Maxime – im Mittelpunkt von „Touchez pas au Grisbi“ steht das Älterwerden dreier Gangster.
Leichtbekleidete Revuetänzerinnen können Max nicht mehr locken: „Nach Mitternacht hab' ich immer das Gefühl, Überstunden zu machen“, verkündet er – und Becker zeigt ihn im gestreiften Pyjama beim Zähneputzen. Offenbar hat er ausreichende Altersvorsorge betrieben, denn die luxuriöse Zweitwohnung, der schicke Wagen und die elegante neue Freundin nötigen seinen Kumpels wohlwollenden Respekt ab. Gutes Essen in guten Restaurants gehört dazu – mehr als für ihre kriminellen Machenschaften interessiert sich Jacques Becker für die Verbürgerlichung seiner Helden. Auch der Nachtclubbesitzer Pierrot macht keine Ausnahme: Als Max ihn einmal um seine Hilfe ersuchen muß, wirkt die Maschinenpistole in der Hand des bebrillten Mannes beinahe deplaziert. Daß es überhaupt zu Schießereien kommt, haben die beiden Riton zu verdanken, der einfach nicht einsehen mag, daß seine besten Tage längst vorbei sind. „Eitel, aber dämlich“, nennt Max seinen besten Freund und versucht natürlich trotzdem, ihm zu helfen. Und so ist „Touchez pas au Grisbi“ auch ein schöner Film über die Freundschaft geworden, in dessen vielleicht bewegendster Einstellung sich Max und Pierrot über das Bett des angeschossenen Riton beugen und dabei wie zwei besorgte Mütter aussehen.
25.9. im Zeughaus
Regie-Genies hatten es im Filmgeschäft schon immer schwer. Zu unkonventionell – und somit zu unkommerziell – lautete das Verdikt der Produzenten, die sich lieber mit pflegeleichten Jasagern umgaben. Keine guten Karten also für Orson Welles, der in späteren Jahren große Probleme hatte, seine Projekte finanziert zu bekommen.
So entstammte etwa ein Teil der Aufnahmen von „F wie Fälschung“ (1973/75) ursprünglich einem Dokumentarfilm François Reichenbachs über den Kunstfälscher Elmyr de Hory. Welles drehte zusätzliche Szenen mit dem Hory-Biographen (und Howard-Hughes-Biographie-Fälscher) Clifford Irving und der Schauspielerin Oja Kodar und montierte das Material dann zu einer intelligenten Reflexion über Wahrheit und Fälschung in der Kunst. Da werden auf amüsante Weise die Experten bloßgestellt (Hory: „Man muß ein Gemälde nur lange genug im Museum hängen lassen, dann ist es eines Tages echt“) oder tiefschürfende Anekdoten erzählt (Picasso über Picasso: „Ich kann so gut wie jeder andere gefälschte Picassos malen“). Für den Zuschauer gilt es jedoch, nicht unbedingt alles zu glauben, denn „fast jede Geschichte ist auch eine Lüge“, wie der Regisseur gleich zu Beginn anmerkt und uns doch immer wieder vorführt, wie leicht wir uns wider besseres Wissen hereinlegen lassen. Welles' Fabulierlust kann man sich einfach nicht entziehen – sie macht das Vergnügen an diesem gefälschten Film über Fälscher aus.
27./28.9. im Babylon-Mitte
Lars Penning
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