: Briefwahlrecht für Auslandstürken
Ministerpräsident Mesut Yilmaz will den in Europa lebenden Türken das Wahlrecht zubilligen. Der Vorschlag stößt in Deutschland auf Zustimmung – und Befürchtungen ■ Von Eberhard Seidel-Pielen
Berlin (taz) – Kontroverse Reaktionen hat die Ankündigung des türkischen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz ausgelöst, die Türkei werde ihren rund zwei Millionen wahlberechtigten Staatsbürgern in europäischen Ländern, darunter 1,3 Millionen in Deutschland, künftig die Teilnahme an türkischen Parlamentswahlen per Briefwahl ermöglichen. Innerhalb der nächsten Monate, so Yilmaz, würden dazu die entsprechenden organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen.
„Die Integration vieler Deutschtürken wird künftig noch schwerer. Sie werden sich nicht mehr auf die Innenpolitik Deutschlands, sondern auf die der Türkei konzentrieren.“ Ozan Ceyhun, Sprecher der BAG-MigrantInnen der Bündnisgrünen, befürchtet, daß Deutschland künftig sehr emotionsgeladene Wahlkämpfe von Islamisten und türkischen Faschisten erleben wird.
Bereits im Juli 1995 hatte das türkische Parlament den Auslandstürken im Rahmen einer Verfassungsänderung die Teilnahme an den Parlamentswahlen vom 24.Dezember 1995 zugesichert. Abstimmen sollten sie in Deutschland in den 14 Konsulaten. Der Plan scheiterte an Sicherheitsbedenken von deutscher Seite.
„Wir haben Verständnis für diese Sorgen“, räumte Mesut Yilmaz gestern ein. Deshalb sollen die Wahlberechtigten per Briefwahl abstimmen. Ungeklärt ist noch, ob die Briefwahlstimmen in den Konsulaten abgegeben werden oder in die Türkei geschickt werden sollen. Offen ist auch noch, ob direkt aus Deutschland Abgeordnete ins türkische Parlament entsandt werden sollen oder die Stimmanteile den jeweiligen Parteien in der Türkei hinzugezählt werden sollen.
Als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnete die Sprecherin der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Emine Demirbüken, die Ankündigung des Ministerpräsidenten. „Wir haben immer gefordert, daß die Auslandstürken von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können.“ Umstritten war in der TGD lediglich, wie dieses Recht einzulösen ist. Man befürchtete, daß polarisierte Wahlkämpfe die Integration gefährden und radikalen Kräften Auftrieb geben könnten. Die TGD sprach sich 1995 gegen eine Direktabstimmung in den Konsulaten und für eine Briefwahl aus. Der Generalsekretär der islamistischen Milli Görüs, Mehmet Erbakan, begrüßt die von Yilmaz vorgestellte Regelung: „Das ist die überfällige Umsetzung eines demokratischen Prinzips. Nach 35 Jahren bekommen wir endlich ein Angebot zum Wählen. Nun können die Muslime ihre Demokratiefähigkeit, die immer wieder bezweifelt wird, unter Beweis stellen.“
Alle Verbandssprecher waren sich einig, daß die nun befürchtete Polarisierung hätte vermieden werden können, wenn die deutsche Gesellschaft den Einwanderern in der Vergangenheit ein (kommunales) Wahlrecht angeboten hätte. Kommentar Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen