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Neulich an der Hotelbar

■ Im Jungen Theater feierte „Queen B“die Uraufführung ihres neuen Programms / Ein Ausflug ins Reich der Traumtypen und Hodentorsionen

Ina Müller und Edda Schnittgard, „zwei Damen von Sylt“, brauchten nur wenig mehr als ein Jahr, um das berüchtigte Single-in-Großstadt-Syndrom voll auszubilden. Als „Queen B“tourten sie durchs Land, traten vor allem in Berlin und Hamburg auf und wissen, wie die Ankündigung versprach, viel zu erzählen über „Männer, Sex, Liebe, Unterwegssein“. Sogar so viel, daß es zwischenzeitlich zu einer CD und nun bereits zur zweiten Show „Wenn du aufhörst, fang ich an“reichte, die am Mittwoch im Jungen Theater Uraufführung feierte.

Wenn Menschen behaupten, sie singen von dem, was sie wirklich, also „in echt“, erlebt haben, ist Vorsicht geboten. Zumal, wenn es zwei Damen aus Sylts pulsierender Metropole Westerland sind. Grabbeleien im Aufzug, Baggereien an der Hotelbar, One-night-stand-Süchtige mit Blutstau hinterm Hosenstall – Gottogottogott, ist also tatsächlich so, das Leben on the road. Seit Sinatras Zeiten hat sich nichts geändert: Koffer auf und zu, ein tiefer Schluck aus einem Whiskyglas voller Kummer und zwischendurch einen kleinen Chanson aufs Papier rotzen über die Frau, den Mann, die andere Frau, Liebe, Hass und Jim, den melancholischen Pianisten hinten rechts in der schummrigen Ecke. Sowas in der Art wollten im prall gefüllten Saal viele hören; voller Sehnsucht nach Authentizität, wahrem Leben, Tragödien in Strophen, Liedern von gebrochenen Herzen, starken Weibern und blöden Kerlen, denen frau mit Gewinn in den Knackarsch tritt, ehe die nächste Selbstgedrehte lässig zwischen knallroten Lippen steckt.

Aber was nörgel ich, der vom Leben nur Gestreifte, dem daheim vor seinem Billy-Regal einfach nur nicht diese wahnsinnig interessanten Männer mit Hodentorsionen begegnen, von denen Ina Müller singt. Und bin ich nicht selbst schuld, daß ich ihn nie treffe, den Mann, der mich bumsen will, verliebt anschaut, mit edlem Wein abfüllt und dann doch sitzen läßt, so daß ich wie Edda Schnippgard den Blues kriege und zwangsläufig aus mir Beatles-Songs über ihn, nackt im Mondlicht, herausbrechen?

Natürlich bin ich schuld, ergo wahnsinnig eifersüchtig auf das Duo und deren wildes, verwegenes Leben. Aber jetzt, wo ich mich frei gemacht habe von Neid und Mißgunst, jetzt kann ich auch ehrlich loben. Zum Beispiel die Texte über Liebe und das ganze alte Zeug: Manchmal schön, oft witzig, und zuweilen klangen sie sogar so, als hätte noch niemand zuvor darüber erzählt. Und die Musik: Ein Klavier, zwei gute Stimmen in Kombination mit dem ansteckenden Temperament, das nur Menschen haben, die jahrelang in Sylter Apotheken ihr Dasein fristen und Plattdeutsch reden mußten.

Nach zwei Stunden war alles gesagt, das Publikum tobte und rief nach mehr. Nach dem dritten Nachschlag wars vorbei, und wir strömten schnell hinaus und machten uns sofort auf die Suche nach schummrigen Hotelbars, halbleeren Whiskygläsern und dem Mann, der alles verspricht.

Ein komischer Abend. Aber gut. Irgendwie. zott

Das Sylter Duo „Queen B“gastiert bis zum 28. September um 20.30 Uhr im Jungen Theater, Sonntag um 19 Uhr

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