: Rock der blutenden Herzen
Elton John war erst der Anfang. Wenn „Candle In The Wind“ Schule macht, droht die Rückkehr der reitenden Benefizpop-Leichen. Müssen jetzt auch die Beatles sich wegen Diana wiedervereinigen? ■ Von Thomas Groß
Wäre alles nicht so gekommen, wie es gekommen ist mit Diana, die Elton-John-Single zum Plattenherbst hätte statt „Candle In The Wind“ „Something In The Way You Look Tonight“ geheißen. Als Vorbote des just erschienenen Albums „The Big Picture“ wäre sie auf, sagen wir, Platz 17 der Single- Charts eingestiegen, hätte noch ein paar Zähler nach oben hin gutgemacht – nichts Spektakuläres, nichts, was uns wirklich fertigmacht. Ein solider, ehrenwerter Beitrag zur Mehrung von Ruhm und Vermögen einer Sangesinstitution, die zwar dann und wann in die Welt der Charts und Hypes hinabsteigt, aber alles irgendwie außer Konkurrenz, Kür in einem etwas abseitigen Genre, das man in England bleeding-heart Rock nennt.
So aber sahen wir Elton in Westminster Abbey vor einer Trauergemeinde Platz nehmen, die televisionär auf geschätzte 2,5 Milliarden angeschwollen war, intergalaktische Beobachter und Engel nicht eingerechnet; sahen ihn mit Richard-Clayderman-mäßig in den Nacken geworfenem Haupt den staatstragend abgewandelten Text einer 23 Jahre alten Edelschnulze vom Teleprompter ablesen, um nur ja nichts falsch zu machen; und wurden Zeuge, wie der Rock der blutenden Herzen, von der Popintelligenzija bereits zum Auslaufmodell deklariert, in Eltons leicht froschigem Crooning noch einmal zu ganz großer geschichtlicher Form auflief. Es war ein Moment von erhabener Gruseligkeit. Während Pavarotti sich dianagramgebeugt von zwei Bodyguards hereintragen ließ, Chris „Don't Pay The Ferryman“ de Burgh und George Michael neidisch die Bänke der Abbey drückten, hatte Reginald Kenneth Dwight alias Elton John mit 50 Jahren und nach über 40 Platten die drei Minuten seines Lebens.
Leben und Sterben der Princess of Wales sind seither zum Gegenstand weitreichender Exegesen geworden, aber hat auch ein Mensch bedacht, welche Folgen der „Candle In The Wind“-Exzeß für die laufende Pop-Saison mit sich bringen könnte? CNNs Larry King hat den Titel bereits zum „top number one song of the world“ erklärt, Bill Clinton soll zusammen mit Tochter Chelsea um vier Uhr morgens vor dem Fernseher geweint haben. Es fehlt nicht viel, und auch Elton ist größer als Jesus. Was wird, wenn die singenden Herrentorten dieser Welt sich zusammentun und ein, zwei, viele „Candles In The Wind“ bilden? Wenn Pomp-Rock im Stil der Siebziger wieder die Hitparaden dominiert? Dann haben wir sie endgültig, die Pavarottisierung des Pop, die neuerdings gerne mit politischer Blairisierung Hand in Hand geht: junge Menschen, die mit ihrem Handwerkerliedvortrag das New England rocken, Performer, die mit ihrem Brot-für-die-Welt- Pop Werbung machen für Best-of- Staaten, zusammengesampelt aus Medienroyalismus, Standortgepupe und sekundärer Volksfrömmigkeit.
Was Elton angeht: Spätestens seit der Briefmarke war es abzusehen gewesen. Als er im vergangenen Jahr von der Queen mit einer Sondermarke geehrt (kriegen sonst nur Elvisse oder andere Popkönige), gar zum „Commander Of The British Empire“ geschlagen wurde, hatte er die Aufnahme in die Rock'n'Roll Hall of Fame bereits hinter sich (kriegen sonst nur Scheintote oder Everybody's Darlings). Und seit er in einer von spektakulären Interviews begleiteten PR-Aktion die Wandlung vom Saulus der Bulimiker, Whiskeytrinker und Kokainisten zum Paulus des Charity-Rock auf den Weg gebracht hat, sah man ihn immer häufiger in Gesellschaft von Members der Royal Family die Klatschspalten füllen – zuletzt bei der Beerdigung von Gianni Versace, wo er Dianas Schulter in einer vielbeachteten Bilderfolge mit Tränen netzte. Der Elton John der späten Jahre – ein einziger Griff nach der Krone des Erwachsenenpop, paparazzibefeuert, die umgewidmete Vita in die Milch des Common sense tunkend: „Something In The Way You Look Tonight“. Auch Michael Jackson, der das letzte Abendmahl mit der Prinzessin genossen haben soll, war ja songgemäß auf der Suche nach „Dirty Diana“.
Aber hat das nicht was: die gefallene Thronfolgermutter und der schwule Prinz als Traumpaar der Unterhaltungsindustrie, bis daß der Tod sie scheide? Eine Wahlverwandtschaft ganz im Dienste der geläuterten Herzen und brennenden Kerzen? Für das im Kern rückständige England, das nach immer neuen boulevardesken Königshochzeiten verlangt, mag es ein großer Schritt gewesen sein: zwei verlorene Kinder, die sich in einer öffentlichen Mitte treffen, er von unten kommend, aus der Froschkönigsposition, auf der Suche nach Mantel und Krone der Barmherzigkeit, sein verworfenes Leben zu decken; sie, gerade erst der Hölle der Windsors entronnen, bodybuildend den Mythos der emanzipierten Frau verkörpernd, die sich ihre Gefährten jenseits von Blut und Tradition sucht. Da hatten sich zwei gefunden in den Jagdgründen des neueren Jet-set, der viel von den Mechanismen des Pop begriffen hat und Glamour nicht mehr aus Kronschätzen schöpft, sondern aus Brillen, Yachten und gut gewählten Mesalliancen.
Es ist eine Geschichte der Königskinder, die erst im Tod zueinander finden konnten. Und trotzdem oder deswegen ist der Triumph des Elton John ein später Sieg des ancien régime. Er zwingt Pop zurück in die Bahnen einer rockenden Caritas, die nach dem Modell medienwirksamer Handauflegungen geformt ist und immer noch die Heilige Familie verklärt: ein Sohn und eine Tochter als unwahrscheinliche Reichseiniger. Sie reformieren über den Tod der Rosendame hinaus – und mit dem Segen des neuen Staatsoberhaupts – das marode System einer Wohlfahrt von oben. Bildet Lichterketten! Seid Di zueinander! Wie immer desolat der Sozialstaat sich im Jahre X nach Thatcher und im Jahre 1 von Blair darstellen, wie unwiderruflich auch die Popnation sich in Vergnügungsstämme, Hyperventilierende und andere Shorttime-Ekstatiker aufgespalten haben mag: Der Royalismus bleibt unser feste Burg, der Commonwealth ist gerettet.
Kein Wunder, daß im britischen New Musical Express, sonst Zentralorgan jeglichen Inselpopwahnsinns, sich erste Bedenken zu regen begonnen haben. „Stop The Madness“ fordert ein als Artikel getarntes Pamphlet von John Mulvey, der, nicht zu Unrecht, einen zweiten Siegeszug der Benefiz- Pop-Generation an die Wand malt. Es ist eine Super-Love-Parade der Jenseitigen, die sich ankündigt, eine große Koalition all der wiedergeborenen Ikonen, die bereits im Thatcher-England ihre Karrieren auf Band Aid, hochgekrempelte Ärmel von Anzugjacketts und egoistischen Gemeinsinn gründeten. David Bowie, Sting, Bryan Adams, Diana Ross, Eric Clapton, sogar Status Quo (!) – sie alle drängeln sich im Fahrwasser von Elton, im kommenden August ein Super-Diana-Konzert zu bestreiten, mit Boy George und den Spice Girls als jüngerer Dreingabe und Annie Lennox und Peter Gabriel als Producer. Liam Gallagher von Oasis hat bereits live on stage den „Live Forever“-Hit zur Diana- Hymne umgwidmet, und gerüchteweise wird sogar ein Über-Top- Gespenst gehandelt: die Wiedervereinigung der Beatles im Hyde Park.
Wird das die Hölle? Wird alles gut? Schier außer Hörweite geraten ist ob des kollektiven Halluzinierens das neue Album des Glückskinds Elton John. Es ist ein braves Werk, das all die bisherigen Vorzüge und Nachteile seines Genres in sich vereint: genial törichte Texte aus der Feder des Hauspoeten Bernie Taupin, dazu tortenhafte Melodien, die die Welt umarmen wollen. Es geht um den weiten Weg zum Glück in den Verwerfungen der Zeit, es geht um „the feeling I get about you, deep inside“. Es ist eben „The Big Picture“, wie es Julian Schnabel, „der führende zeitgenössische Künstler der USA“ (so der Promozettel – na ja), für das Cover auf Leinwand gebannt hat. King Elton im Saft seiner Selffullfilling prophecies.
Indes: Man könnte es durchaus genießen in seiner weltumspannenden Fünfminutenterrinenhaftigkeit, wäre der Sehnsuchtsgesang des dicken kleinen Jungen aus einem Ort namens Pinner in einer Landschaft namens Middlesex nicht zur Gründungshymne popuniversalistisch blutender Herzen emporgeschäumt. So muß sich die „Queen Mum of Pop“ zumindest um die Promotion keine Sorgen machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen