Ohne Arbeit keine Musik

Elmar Lampson ist Leiter der Hamburger Orchester Akademie und Komponist Neuer Musik. Anthroposoph ist er auch, doch das hat damit eigentlich nichts zu tun  ■ Von Mechthild Klein

Elmar Lampson zieht die Augenbrauen hoch, abwehrend hebt er beide Hände. „Nein! Ich bin kein anthroposophischer Musiker. Allzuleicht bekommt man diesen Stempel aufgedrückt“, beklagt der 44jährige Dirigent und Komponist Neuer Musik. Zur Anthroposophie bekennt er sich freimütig, aber „mit meiner Musik Kompositionen hat das wenig zu tun“.

Wie oft hat er schon das Prinzip der Neuen Musik erklären müssen? Trotzdem wirkt er beim Erzählen immer noch geduldig. Ihn verwundert, daß kaum mehr als das eingefleischte Avantgarde- Publikum zu den Konzerten kommt. „Dabei muß Neue Musik gar nicht prinzipiell abschrecken.“

Lampson schaltet niemals zur Entspannung das Radio ein. „Musik nur als Background? Nein, dazu ist mir die Stille viel zu kostbar“, lächelt er vielsagend. Unermüdlich sucht er nach neuen Formulierungen, um das Gesagte zu verdeutlichen: Das Hörerlebnis Neue Musik unterscheide sich wesentlich von anderem, passivem Hörgenuß. Es bedeute nicht vordergründige Entspannung, sondern etwas, was was man sich erarbeiten muß. Erarbeiten und abrackern, daran glaubt er. Es sei eben „eine Illusion der Popmusik und ihrer Industrie, daß man irgend etwas bekommt, wofür man sich nicht anstrengen muß“. Die Schwierigkeiten vieler beim Einstieg in diese Welt fremder Klänge sind ihm nur allzu bewußt. Wenn man sich jedoch darauf einlasse, könne sie ein „Kunsterlebnis“ werden. Erst mit der Theorie dahinter erhielten die unkonventionellen Klänge ihren Sinn.

Ein Blick auf Lampsons Werdegang zeigt immer wieder seinen Hang zu dieser Unkonventionalität. Er beteiligte sich an Forschungsprojekten wie „Kunst und Wirtschaft“ oder „Kunst und Heilkunst“. Sogar Manager hat er schon unterrichtet, die durch seine Kompositionen auf kreative und produktivere Ebenen gehievt werden sollten. „Vermutlich hörten die solche Klänge dort zum ersten Mal“, grinst der Tonkünstler.

Gerade weil die Musik unbekannt sei und in keine vorgefertigten Muster passe, werde das Wahrnehmungsvermögen besser geschult. Und darauf komme es ihm an. Bereits Schönberg hatte für diesen Vorgang den Begriff „Schöpferisches Zuhören“ geprägt. Lampson deutet das so: „Alles, was man sich erst entschlüsseln muß, erfordert wache Aufmerksamkeit, also Arbeit.“

Zweifellos ist Lampson ein Workaholic. Seine größte Schwäche – „Ich bin unfähig zum Nichtstun.“ – kam ihm bei der Karriere zugute. Inzwischen hat er sich weit über Deutschland hinaus als Komponist und Dirigent einen Namen gemacht. Rund 70 Konzerte gibt er jährlich allein mit der Orchester- Akademie Hamburg, hinzu kommen Kompositions- und Lehraufträge.

Begeistert erzählt er von der Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Altmeister der modernen Töne, Alfred Schnittke, dessen Werke er auf CD eingespielt hat. Schnittke steht auf seiner privaten Hitliste (und auch in den Plattenläden) ganz oben, den könne er jedem als Einstieg in die Neue Musik empfehlen.

Auch der Aufbau der Orchester-Akademie, deren Leiter er mittlerweile ist, geht auf Lampsons Kappe. Seit zwei Jahren lehrt er an der Universität Witten-Herdecke „Musikalische Phänomenologie“. 1996 folgte eine Professur für Ensemblebegleitung/Neue Musik an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Momentan feilt er außerdem noch an einer Komposition für Harfe.

Zurück zum Anthroposophen- Image, gegen das Lampson Sturm läuft. „Musik ist keine Weltanschauungskunst. Daher kann sie auch von niemandem vereinnahmt werden“, unterstreicht er seine Position. Ein guter Musiker werde man schon gar nicht durch weltanschauliche Bemühungen. Seiner Ansicht nach kann ebenso ein Atheist ein guter Kirchenmusiker sein, wie auch die Eurythmie nur überleben könne, wenn sie kompetent interpretiert wird: „Ihr Schicksal hängt davon ab, ob das echte Künstler machen.“