Kein Ende, sondern Zappelduster

Manch ARD-Sender hatte den guten alten Kinderfunk schon verschwinden lassen. Nun besinnt man sich eines Besseren – schließlich geht's um die Zukunftszielgruppe  ■ Von Ania Mauruschat

Wenn Kinder den Ohrenbär malen, sieht er aus wie das Ergebnis eines interessanten Gen-Versuchs: Teddy, Hase und Hund in einem. Dabei behaupten seine Erfinder vom SFB hingegen, er sei unsichtbar. Klar ist eins: In Wirklichkeit gehört der Ohrenbär einer Gattung an, die so etwas wie eine Mischung aus heiliger Kuh und lästiger Mücke ist – denn der Ohrenbär ist Kinderfunk.

Zur heiligen Kuh wurde die tägliche Gutenachtgeschichte für Vier- bis Achtjährige schon dadurch, daß sie jede Programmreform des SFB überlebt hat und am morgigen 1. Oktober ihren zehnjährigen Geburtstag feiern kann. Unter den elf ARD-Anstalten ist das für Kinderfunk ein hohes Alter – dort reicht die Spannweite von null Minuten beim SWF bis zu 530 Minuten pro Woche beim WDR (siehe Übersicht rechts).

Den Platz des Onkel Tobias vom Rias und der anderen Kinderfunkklassiker aus den goldenen Radiojahren der sechziger und siebziger Jahre haben längst Käpt'n Blaubär und die Bundies im TV oder die jederzeit abspielbaren Kassetten von Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg eingenommen. Einer Studie zufolge, die der WDR mit dem Deutschlandradio (DLR) in Auftrag gab, kommt das Radio bei den Sechs- bis Achtjährigen nach TV, Musik, Videos und Hörspielkassetten gerade noch auf den fünften Platz – nur Comics, Zeitschriften, Bücher und Märchen schneiden noch schlechter ab. Elf- bis Dreizehnjährige hören zwar etwas mehr Radio, aber vor allem wegen der Musik. Das Medium Radio, so dämmerte es den Anstalten vor einigen Jahren, kommt auf der Medienagenda ihrer Zielgruppe der Zukunft kaum mehr vor.

Dabei haben 88 Prozent der Zwölf- bis Neunzehnjährigen laut einer BR/SWF-Untersuchung ein Radio (einen Fernseher besitzen immerhin 55,8 Prozent).

Doch als in den achtziger Jahren die öffentlich-rechtlichen Radiomacher aus Panik vor der privaten Konkurrenz ihre Wellen „entworteten“, wurden die lästigen Kinderprogramme paradoxerweise als erstes zerschlagen. „Bei der momentanen Wellenideologie ,Durchhörbarkeit‘ weiß man halt nicht, wie man Spartenprogramme integrieren soll“, sagt die für den Ohrenbär verantwortliche Redakteurin Marianne Wagner – beim SFB gebe es keine eigene Kinderfunkredaktion mehr. Weil aber Kinder so früh wie möglich lernen sollten, Medien sinnvoll zu nutzen und ihr Prinzip zu verstehen, sagen die Kinderfunkmacher, sollten die Kleinen auch alle anderen radiophonen Formen wie Nachricht und Reportage kennenlernen. „Wer in seiner Kindheit gelernt hat zu hören, der hört sein Leben lang anders“, glaubt Gerda Hollunder, Programmchefin beim Deutschlandradio Berlin, das mit täglich wechselndem Schwerpunkt allmittaglich das Kindermagazin „Kakadu“ sendet.

Was der Ohrenbär als kurzes Hörspiel zumindest lehrt, ist das Zuhören, und damit ist er beim WDR und NDR, die ihn übernommen haben, ebenso erfolgreich wie in Berlin. Unvorstellbar auch dort, daß er sang- und klanglos aus dem Programm gekippt wird, wie es im letzten Jahr beim MDR geschah und wie es soeben der ORB mit seinen eigenproduzierten Kindersendungen tat.

Daß man aber bereits wieder anfängt umzudenken und sich an den Grundversorgungsauftrag der ARD erinnert, zeigt sich daran, daß zumindest der ORB sich eines Besseren besann und die Kultsendung „Zappelduster“ nun doch nicht in den Wirren der Auflösung von Radio Brandenburg verschwinden läßt. Ab 6. Oktober zappelt das rasante, chaotische, ulkige und nur sechs Minuten kurze Kindermagazin wieder, und dann auf Antenne Brandenburg. Allerdings wurde das Wochenendmagazin Ratz-Batz dafür geopfert, daß Zappelduster unter anderem mit seinen Montage-Geschichten aus Kindererzählung und Geräuschen (eine davon erhielt 1996 den Deutschen Kinderhörspielpreis) nun täglich zu hören ist.

Am besten aufgehoben sind radiobegeisterte Kinder jedoch in Bayern und in Nordrhein-Westfalen. Denn neben den täglichen Gutenachtgeschichten und den Sonntagmorgenmagazinen wird beim BR und WDR wie beim Deutschlandradio jeden Mittag ein Kindermagazin ausgestrahlt. Das gibt es sonst nur noch beim Hessischen Rundfunk. Der WDR, der nach kinderfunklosen Jahren seit 1990 wieder voll auf die jungen Hörer setzt, hat seit 1. September die Sendezeit des Magazins Lilipuz sogar auf eine ganze Stunde verdoppelt. Und in Schleswig-Holstein bewirbt sich sogar eine private Kinderwelle um eine Frequenz.

Neben der gewaltigen Konkurrenz des Fernsehens leiden der Ohrenbär und seine Artgenossen jedoch unter einem Informationsdefizit der Kinder und ihrer Eltern und daran, daß sie oft auf Kultursendern zwischen Bach und Beethoven ein verstecktes Dasein fristen. Denn wie die WDR/DLR- Studie zeigt, werden die Sendungen, die Kinder kennen, von den Nachwuchshörern auch begeistert eingeschaltet. Daß die treuesten Kinderfunkhörer dabei oft Erwachsene sind, mag vielleicht auch daran liegen, daß Kinder als Hörer in den Radiostatistiken gar nicht erst vorkommen. „Bax Blubber“, sonntags um 7 Uhr auf WDR 4, erreicht beispielsweise rund 600.000 Hörer über 14 Jahren. Aber die besonders phantasievollen und verspielten Produktionen werden wohl auch eine Ader der Erwachsenen ansprechen.

Beim Radio, glaubt Marianne Wagner, sei es wesentlich schwieriger, die Kinder zum Zuhören zu bringen, als in der direkten Kommunikation. Da muß man sich schon so was einfallen lassen wie „Pinguin, die Sendung mit Frack“ vom SDR, in der das Kind „Euer Gnaden“ und Frack, der Pinguin- Butler, mit einer Geschichte Fragen wie die des zwölfjährigen Martin beantworten, warum man in die Schule gehen soll, wenn man nachher sowieso arbeitslos ist.

„Gute Unterhaltung schließt Bildung nicht aus“, faßt Nina Rauschenbach von Zappelduster das Prinzip des Kinderfunks zusammen. Und daß darum die ARD auf ihre Lilipuze und Pinguine letztlich nie verzichten können wird, weiß Fabian (fünf Jahre) am besten: „Ein Abend ohne Ohrenbär ist wie ein wasserloses Meer.“