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Frankreichs Bischöfe leisten Abbitte

Die katholische Kirche Frankreichs veröffentlicht heute eine Erklärung, in der sie ihre Mitschuld an der Deportation und Ermordung von Juden unter dem Vichy-Regime anerkennt – und um Entschuldigung bittet  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

57 Jahre nach Inkrafttreten des ersten antisemitischen Statuts von Vichy will die katholische Kirche Frankreichs heute ein Mea culpa für ihre eigenes Schweigen versuchen. Sie wird das auf dem Gelände des früheren Durchgangslagers Drancy tun, von wo aus 76.000 Menschen in die Vernichtungslager des NS-Regimes transportiert wurden.

Vor Bischöfen der 30 Diözesen, auf deren Gelände sich Konzentrationslager befanden, sowie Vertretern der jüdischen Gemeinde, wird eine Erklärung verlesen, in der die offizielle katholische Kirche erstmals ihre „Reue“ über die eigenen Mitschuld an den „Irrtümern der Vergangenheit“ ausspricht und zugleich die Initiativen einzelner Katholiken lobt, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens Juden gerettet haben.

Die Blocks, in denen die Deportierten auf der Zwischenstation Drancy untergebracht waren, dienen längst wieder als Mietunterkünfte. In ihrer Mitte, wo sich auf einer Wiese das „Memorial für die Deportation“ und ein Eisenbahnwaggon befinden, soll heute abend die Zeremonie stattfinden. Stellvertretend für alle wird der Bischof des benachbarten Saint Denis, Olivier de Beranger, die Erklärung verlesen. Zur Zeit des Vichy-Regimes gab es seine Diözese in dem Arbeitergürtel nördlich von Paris noch gar nicht. Das Lager Drancy fiel in die „Zuständigkeit“ der Bischöfe von Paris und Versailles, die zwischen 1940 und 44 beide zu den Deportationen schwiegen, von denen nur 2.500 Menschen zurückkamen. Mut zum Protest gegen die staatlichen antisemitischen Verbrechen brachte die katholische Kirche Frankreichs erst im Sommer 1942 auf, zu dem Zeitpunkt, als die französische Polizei dazu überging, auch in der von dem Kollaborateursregime des Marschall Pétain regierten „freien Zone“, Juden zu deportieren – darunter Frauen und Kinder.

Doch auch da waren es bloß vier Bischöfe – in Toulouse, Montauban, Albi und Marseille –, die Briefe verfaßten, die sie in ihren Diözesen verlesen ließen. Alle übrigen Bischöfe schwiegen weiter. Sie fühlten sich der „nationalen Revolution“ verbunden, deren Chef Marschall Pétain ihnen die Aufhebung der Trennung von Staat und Kirche zugesichert hatte, und ihnen als bester Garant jener Ideale galt, die das antirepublikanische, antibolschewistische und mit den Nazis kollaborierende Frankreich mit der katholische Kirche gemeinsam hatte: „famille, patrie, travail“ – Familie, Heimat, Arbeit.

Es dauerte über ein halbes Jahrhundert, bis die französische Kirche ihr Schweigen brach. In der langen Zwischenzeit blieben die Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft Frankreichs, der größten Europas, angespannt. Unter anderem trug dazu die aktive Fluchthilfe der Kirche für Kriegsverbrecher bei. Ihr Extrem erlebte diese Komplizität im Fall von Paul Touvier, jenem Milizionär, der in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Klaus Barbie, in Lyon jüdische Geiseln ermordete. Traditionalistische Katholiken versteckten ihn 40 Jahre lang, bis ihn die französische Justiz 1989 in einem Kloster in Nizza fand und wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilte.

Das Verhältnis belastet hat auch ein Konflikt um ein Kloster, das Karmeliterinnen auf dem Gelände des KZ von Auschwitz eröffnet hatten und das der Papst lange unterstützte. Ende der 80er Jahre führte das dazu, daß Theo Klein, ein Sprecher der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich, den Dialog mit der katholischen Kirche für „unmöglich“ erklärte und vor Begegnungen jüdischer Repräsentanten mit dem Papst warnte.

Das Verfahren gegen den Milizionär Touvier im Jahr 1994 zwang die katholische Kirche zum Nachdenken. Hinzu kam im Juli 1995 eine ganz offizielle Geschichtsrevision durch den französischen Staatspräsidenten. Am Jahrestag der größten antijüdischen Razzia unter Vichy, bei der am 16.Juli 1942 13.000 Menschen, darunter 4.000 Kinder, in dem Pariser Radrennstadium Vel d'Hiv zusammengetrieben wurden, bekannte der neue Präsident Jacques Chirac eine „Mitschuld das französischen Staates“. Nachdem alle seine Vorgänger das Regime von Vichy stets als eine „Klammer in der französischen Geschichte“ bezeichnet hatten, war das eine kleine Revolution, die den Weg für zahlreiche neue Untersuchungen der französischen Geschichte eröffnete. Der Pariser Historiker David Douvette, der seit Jahren über die Judenverfolgung in Frankreich forscht, sagt denn auch: „Ohne die Erklärung des Präsidenten würde es diese Erklärung der Bischöfe nicht geben.“

Auch auf internationaler Ebene gab es Vorreiter für die Initiative der französischen Bischöfe. Allen voran die – allerdings ohne jede Zeremonie abgegebenen – Erklärungen der deutschen und polnischen Bischöfe zum 50. Jahrestag der Befreiung der Vernichtungslager Anfang 1995, in der die beiden Kirchen erstmals ihre Mitschuld eingestehen. Der Chefredakteur der linkskatholischen französischen Zeitschrift Golias, Christian Terrace, spricht deswegen von einem „Vorgehen nach dem deutschen und polnischen Beispiel“.

Von der katholischen Kirche war die Bischofserklärung, deren Wortlaut erst heute veröffentlicht wird, im vergangenen Juli angekündigt worden. Einer der Urheber der Erklärung, der Pariser Erzbischof Lustiger, der selbst aus einer jüdischen Familie stammt und als Jugendlicher in der Vichy-Zeit von den Katholiken getauft wurde, die ihn versteckten, sagte damals der Presse, die katholische Kirche werde in eine Periode der Abbitte treten.

Offiziell reiht sich die Initiative der katholischen Kirche Frankreichs in einen großen Rahmen ein, den Papst Johannes Paul II. selbst für die religiösen Jubelfeiern für das Jahr 2000 gesteckt haben soll. Tatsächlich jedoch ist die französische katholische Kirche mit ihrer Erklärung dem Vatikan, er seit über 10 Jahren völlig folgenlos eine „Enzyklika über die Shoa“ ankündigt, weit voraus.

Kirchenkritikern freilich geht die Erklärung nicht annähernd weit genug. Golias-Chefredakteur Christian Terrace, der gestern zu einer Pressekonferenz eines wegen ketzerischer Veröffentlichungen über Maria exkommunizierten srilankischen Geistlichen in Paris weilte, fragt skeptisch nach den „Konsequenzen der Bischofserklärung für die Aktualität“. Schließlich habe die katholische Kirche bei Genoziden jüngeren Datums, wie dem in Ruanda, wieder geschwiegen. Mehr noch: Sie habe dafür gesorgt, daß der Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigte Geistliche ins Ausland fliehen und sich der ruandischen Justiz entziehen konnten.

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