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Belgrads Bürgermeister abgelöst

Das Parlament der serbischen Hauptstadt setzt den Oppositionspolitiker Zoran Djindjić ab. Der Antrag wurde von seinem einstigen Mitstreiter Vuk Drašković eingebracht  ■ Von Karl Gersuny

Wien (taz) – Wer erinnert sich nicht noch an die Wintermonate, als Abend für Abend Zehntausende durch Belgrads Straßen zogen, mit dem Ruf nach Freiheit, Demokratie und einem Ende der Einparteienherrschaft der verhaßten Sozialisten von Slobodan Milošević? Am 21. Februar war es dann soweit: erstmals seit 1945 übernahm ein Oppositioneller das Amt des Oberbürgermeisters, gestützt auf eine Mehrheit nichtsozialistischer Volksvertreter in den 19 Gemeinderäten der serbischen Hauptstadt.

Doch seit gestern haben die Sozialisten wieder das Sagen: In einer Mißtrauensabstimmung unterlag Oberbürgermeister Zoran Djindjić mit 67 zu 43 Stimmen seinen Gegnern – unter ihnen viele seiner ehemaligen Mitstreiter. So war es auch nicht die Sozialistische Partei, die den Antrag zur Ablösung Djindjić' einbrachte, sondern die Serbische Erneuerungsbewegung unter ihrem Führer Vuk Drašković.

Dieser wortgewaltige Schriftsteller mit dem neuerdings gestutzten Bart hatte es Djindjić schon beim allabendlichen Staßenhappening im Winter übelgenommen, daß sich dieser als neuer Oppositionsführer aufspielte und ihn bei den Abschlußkundgebungen immer wieder in den Hintergrund zu drängen verstand. Aus einer alten Freundschaft wurde Haß.

Um die verlorene Popularität wieder wettzumachen, setzte Drašković fortan auf die nationalistische Karte, verunglimpfte Djindjić als „westlichen Agenten“ und pries sich als neuen Serbenführer, der das vom Krieg geschüttelte Land zu „neuem Wohlstand und nationaler Erneuerung“ führen könne. Mit solchen Slogans biedert sich Drašković seit kurzem auch den Herrschenden an. Der bisherige Oppositionspolitiker scheint nun sogar bereit zu sein, zusammen mit den nahezu allmächtigen Sozialisten und dem ehemaligen Freischärlerführer Vojislav Šešelj eine „Regierung der nationalen Verständigung“ einzugehen.

Vorbedingung dafür, so spekulierten in den vergangenen Tagen die Belgrader Zeitungen, sei für die Sozialisten jedoch gewesen, daß Drašković seinen Exfreund Djindjić politisch kaltstelle. Denn im Weltbild der herrschenden Sozialisten darf es einen liberalen Freiraum, ein Aufweichen des bestehenden Machtgefüges, nicht geben, schon gar nicht in der Hauptstadt. Welche neue Rolle Drašković als Belgrader Königsmacher demnächst auf Landesebene zufallen wird, ist vorerst offen. Die Sozialisten verfehlten bei den Parlamentswahlen vom 21. September die Mehrheit der Mandate. Ohne eine Koalition mit Šešelj oder Drašković können sie keine Regierung bilden.

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