: Punkrock aus der Kiste
■ Konzeptkünstler Mathias Poledna hat Punk-Definitionen videofest gemacht
Never Mind The Bollocks und die Sex Pistols finden 1997 im altehrwürdigen Londoner Victoria & Albert Museum statt. Denn seitdem die Sex Pistols am Ende sind, sammelt Kuratorin Leela Meinertaf Punkrestchen in Schachteln. Hier wird Popgeschichte konserviert, katalogisiert und gerettet. Problems? Ja, denn die Vermittlung von Popgeschichte ist heikel und perspektivenabhängig.
Der Wiener Konzeptkünstler Mathias Poledna interviewte für sein 42minütiges Video Scan zum Thema „Was ist Punk, und wo ist er geblieben?“(England 1996) gleich vier Leute. Vier Geschichten, also vier Versionen, die zeigen, wie Information über Punk durch Jahre, Institutionen und Instanzen knetmassenähnlich vom jeweiligen Interessenvertreter aufs Neue geformt wurde und geformt wird. Die Befragten sind besagte Alltags-Archäologin und Museumskuratorin Leela Meinertaf, Sex Pistols- und Punkrock-Graphiker Jamie Reid, Pop-Analytiker Jon Savage und US-Layout-Hipster Mike Mills, der zwischen Beastie Boys bis Old Dirty Bastard die halbe Westküste mit Entwürfen versorgt.
Meinertaf meldet soziologisches Interesse an. Was „defining a de-cade“ist (die Dekade beschreibt), wandert ins Archiv, wird wie anfällige Kunstwerke behandelt, aber wenigstens nicht weggeschmissen. Jamie Reid hingegen war die rechte Hand des Sex Pistol-Produzenten Malcolm McLarens. Komplexe Situationismen, die Kunstschüler zur „Bewegung“aufbauen wollten, stutzte er zu Killerslogans: „God save the Queen“im Erpresserbrief-Stil geht auf sein Konto. Das verstand jeder. Doch ihm geht es eher um das „crosscultural movement“Punk statt um Musik und Mode.
Die schreibende Zicke Jon Sa-vage hat mit England's Dreaming schon ein ganzes Buch über Punk verfaßt. Savage meint, die Behandlung von Punkrock als Sozialgeschichte führe zum Ernstnehmen der Angelegenheit. Die Qualität von Pop-Bewegungen sei die Veränderung von Einzelleben. Und zwar von möglichst vielen. „Punk, wie alle wichtigen Pop-Bewegungen, schreit den Leuten entgegen: Das und das läuft komplett falsch. Get used to it!“erklärt Savage aus der Distanz übenden Schreiberposition. Trotzdem, er ist ein leicht hysterischer Erzähler und somit glaubwürdig.
Der jüngste von allen, Mike Mills, berichtet vom Punk aus einer süß-naiven, aber sympathischen US-Ami-Perspektive. In den frühen 80ern habe man ihn und seine Freunde wegen Punk-Outfits oft verprügelt, heute wollten sich die Kids nicht mehr abgrenzen, sondern angeblich alle gleich sein. Dafür schätzt Mills die Traditionslosigkeit und Respektlosigkeit gegenüber Bildern, mit der ganz junge Skater „a new world order in popular culture“schaffen. Also doch noch Punkrestchen vorhanden.
Anne Philippi
Video-Vorführung: heute, 21.30 Uhr, Tele 5, Friedrichstraße 20
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