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Angst um sechzig Millionen

■ Überall Multiplexkinos, demnächst auch in deinem Hinterhof: Doch die Grenzen des Wachstums scheinen längst erreicht – und die Nerven der Beteiligten werden immer dünner

In Hellersdorf gibt's seit kurzem das CineStar, in der Gropiusstadt wird demnächst eröffnet, am Potsdamer Platz entstehen gleich zwei. Berlin wird mit Multiplexkinos gepflastert. Seit auch der letzte Investor kapiert hat, daß man mit leeren Büros zwar prima steuermindernd Verluste einfahren kann, aber keine Gewinne, glaubt man plötzlich an den Kinoboom. „Früher fand man keine guten Standorte, jetzt ruft alle paar Tage einer an und will mir ein Multiplex bauen“, sagt Georg Kloster, Chef der größten Berliner „Off“-Kinokette (u.a. Yorck, Babylon, Off, Passage).

Vor allem im Osten wird die Luft langsam dünn. Kloster liegt mit seinem Filmtheater am Friedrichshain (FaF) mitten in der Schußlinie zwischen dem seit einem halben Jahr fertigen UfA- Kosmos-Kinocenter und dem wenige Meter weiter geplanten UCI- Multiplex. Am anderen Ende des P-Bergs machen Artur Brauner, Stefan Arndt (Sputnik, Thalia Potsdam) und die Flebbe-Gruppe für 60 Millionen Mark ein Cinemaxx aus dem Colosseum. Flebbe betreibt schon jetzt 9 Multiplexe und 24 normale Kinos mit insgesamt 135 Leinwänden in Deutschland. Erwarteter Umsatz 1997: 200 Millionen Mark. Bis Anfang 99 kommen nochmal 10 Großkinos in Freiburg, Bremen, Wuppertal und sonstwo dazu. Die Firma gehört inzwischen zu 50 Prozent dem Musicalheini Rolf Deyhle (Stella AG).

Artur Brauner hat das Colosseum von der Treuhand erworben. Und die plant gegenüber ein weiteres Großkino in der Kulturbrauerei, das Warner Bros. betreiben will. Gegen diese Pläne laufen die Colosseum-Investoren jetzt Sturm. „Der Prenzlberg hat 140.000 Einwohner, das kann nicht funktionieren. Wenn hier vier Multiplexe stehen, kann ich das FaF gleich dichtmachen“, sagt Kloster. Obendrein wollen sich Flebbe/Stella am Alex selbst ein Konkurrenz-Multiplex hinstellen.

Skandalös findet Brauner, daß die Treuhandnachfolgerin TLG in der Kulturbrauerei nun selbst als Investor auftritt. Weil man aber wohl mit Protesten rechnete, bezeichnet man das Kino in der Brauerei hochtrabend als Arthouse. Was immer Kunstfilm sein soll, daß Warner acht Säle mit rund 2.000 Plätzen mit derartigen Produkten profitabel betreiben könnte (oder wirklich wollte), bezweifeln nicht nur die Colosseum- Macher. Brauner fordert multiperplex von der TLG, sie solle Warner „mit einer Strafklausel vertraglich zum Kunstfilm verpflichten“. Dann werde man schon sehen. Das ganze Projekt sei ein „Verbrechen“. Denn Warner wird schon jetzt vertraglich von der TLG eingeräumt, von der „Kunst“ abrücken zu können, wenn diese kein Geld bringt. Gleichzeitig sind die Colloseum-Macher der TLG gegenüber in der Pflicht, mindestens 10 Jahre Filme zu zeigen.

Wohin die Überfütterung von Städten mit Riesenkinos führen kann, sieht man schon jetzt in Magdeburg. Hier gibt es ein Cinemaxx und einen Warner-Komplex. Die Magdeburger aber scheinen immer noch lieber Premiere zu glotzen: Das Cinemaxx macht hier angeblich rund 2 Millionen Mark Verlust. In Städten wie Essen konnte dagegen die Zahl der jährlichen Kinobesuche pro Mensch durch die multikomplexen Freß- und Schauburgen erhöht werden. Berlin gilt zwar als Kinostadt, liegt aber beim durchschnittlichen Kinobesuch pro Einwohner und Jahr weit hinten. Nicht mal auf drei Kinogänge kommt der Berliner. Westdeutsche Unistädte bringen's aufs Doppelte. Wenn die über 30 Multiplexe, die im Moment hier geplant sind, irgendwann tatsächlich alle stehen, dann müßte man die Zuschauer wohl mit dem Taxi zu Hause abholen, damit man die Kinos vollkriegt.

Früher konnte man aus Kinos prima Aldimärkte machen. Aber, so Kloster: „Heute mit diesen Betonschrägen, können sie die Dinger gleich wieder abreißen.“ Andreas Becker

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