Zwischen den Rillen
: Steine ohne Staub

■ Die Rolling Stones bauen grundsolide Brücken nach Babylon

Die schönste Geschichte über die Produktion von „Bridges to Babylon“, dem 23. Studio-Album der Rolling Stones, erzählte Mick Jagger den Namensvettern eines großen Musikmagazins. Als er ins Haus der Dust Brothers kam, die bei drei der 13 Stücke des neuen Stones-Produktes die Finger im Spiel hatten, hätten diese – Skandal, Skandal – praktisch nichts im Haus gehabt. Untragbare Zustände für den penibelsten Rockmusiker aller Zeiten, und so schlappte er erst mal zum Einkaufen und brachte den Haushalt des schlampigen Produzentenduos auf Vordermann, bevor die Arbeit beginnen konnte. Schon Marianne Faithfull berichtet ja in ihrer Autobiographie, daß Jagger bereits in den 60er Jahren, als Staubwischen noch verpönter war als Krawattentragen, jeden Berg schmutzigen Geschirrs als persönliche Herausforderung betrachtete. Dies erklärt auch, warum sich Gattin Jerry Hall immer wieder mit Scheidungsgedanken trägt. Wer möchte schon einen 1,53 Meter großen Putzteufel im Haus haben, der ständig mit dem Staubsauger durchs Haus fegt und dabei hüftschwenkend „Sympathy For The Devil“ schmettert. Ein Wunder, daß ihm vor lauter Hausarbeit noch Zeit zum Musizieren bleibt.

Bleibt aber. Mick Jagger war die treibende Kraft hinter der Erstellung von „Bridges to Babylon“, und er war es auch, der durch die Beschäftigung verschiedener zeitgenössischer Produzenten versuchte, dem Opus einen besonderen und modernen Touch zu verleihen. „Ich habe sie kaum gesehen“, sagt Keith Richards über die Dust Brothers, „das ist nicht mein Ding.“ Recht hat er, der Gitarrist mit dem Gesicht einer geschmolzenen Wachsfigur, am Ende kommt, egal, wer produziert, doch immer „Stones“ heraus. Und das sogar, wenn k.d. lang drinsteckt. Deren Song „Constant Craving“ nämlich schlummerte irgendwo in Jaggers Unterbewußtsein und schlich sich in Gestalt der neuen Single „Anybody Seen My Baby“ an die Oberfläche, weshalb die kanadische Künstlerin flugs als Co-Autorin in die Credits aufgenommen wurde. Dennoch ist „Anybody Seen My Baby“ ein Stones-Song und nichts als ein Stones-Song.

Genau da liegt auch das Problem. „Wenn du so viele Platten gemacht hast, ist es schwer, irgend etwas anders zu machen“, gibt Jagger zu, verkündet aber dennoch tapfer bei jedem neuen Werk, daß just dies gelungen sei. Denn während verstorbene Kollegen wie Jimi Hendrix, Elvis Presley oder die halbtoten Beatles ihr regelmäßiges Revival mittels neuer Editionen erfahren und, je nachdem, in Frieden ruhen können oder im Grab rotieren, müssen die Stones gelegentlich verkünden: „Hurra, wir leben noch und haben keineswegs Staub angesetzt.“ Zu diesem Behufe gehen sie auf Welttournee, was früher laut Jay Leno einfacher war, „weil da die Kontinente noch zusammenhingen, so daß alle Strecken per Auto bewältigt werden konnten“, und bringen eine neue CD heraus. Für deren Bewertung gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder: just another Stones album. Oder: ein Meisterwerk, das an, wahlweise, „Between The Buttons“, „Sticky Fingers“, „Beggar's Banquet“, „Aftermath“ et al. gemahnt, wobei alles, was nach „Exile on Main Street“ kam, in die Kategorie „Just another Stones album“ fällt.

„Bridges to Babylon“ macht da keine Ausnahme. Kein „Satisfaction“, „Mother's Little Helper“, „Out Of Time“, „Jumpin Jack Flash“, „No Expectations“, „Midnight Rambler“, nichts, was zum Klassiker taugt, aber sonst ist alles da, was der Stones-Fan liebt. Wuchtige Knaller wie „Flip The Switch“ oder „Gunface“, sehnsuchtsvolle Balladen wie „Always Suffering“, „Already Over Me“ oder „Anybody Seen My Baby“, karibische Faulenzerweisen wie „You Don't Have To Mean It“, klassischer Rhythm 'n' Blues wie „Low Down“ und die zwei obligatorischen und obligatorisch obskuren Keith-Richards-Stücke am Schluß. Dazu die üblichen Texte, die in impertinenter Winzigkeit im Booklet verewigt sind, wobei unklar bleibt, ob dies eine kleine Gemeinheit gegenüber den altgedienten Fans ist, die erst die Lesebrille herauskramen müssen, oder eher einer gewissen Scham geschuldet. Schließlich hat Mick Jagger mal zugegeben, daß er früher immer so nuschelte, weil ihm seine Texte peinlich waren. Insgesamt ein solides Stück Arbeit, angenehm zu hören, universell verständlich, wie sich das für ein Werk mit diesem Titel ziemt, und in ein paar Jahren ganz gewiß vergessen. Just another Stones album. Matti Lieske

Rolling Stones: „Bridges to Babylon“, (Virgin)