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■ Die Zensur von Dichtung, glauben einige, sei eine Art verquerer Anerkennung ihrer Macht. Doch nach wie vor wird durch direkte Eingriffe oder durch marktgesteuerte Marginalisierung die Arbeit von Schriftstellern überwacht und behindert Von Peter Porter und Harriet Harvey WoodDie alte Gewohnheit der Zwangausübung

Das aktuelle Heft von „Index on Censorship“ ist der Zensur von Lyrik gewidmet. Ein Beispiel: der arabische Schöpfungsmythos. Der Sieg des Islam im 7. Jahrhundert hat dabei weniger zur Unterdrückung ursprünglicher arabischer Traditionen geführt, als dazu, daß sie völlig vergessen wurden. Die bedeutenden Urschriften präislamischer Lyrik scheinen wie von einer Flut verschluckt. Der jemenitische Literaturwissenschaftler Abdullah al-Udhari hat sie rekonstruiert.

Das aktuelle Index-Heft zur Lyrik ist dem Andenken Stephen Spenders gewidmet, dem Begründer und Unterstützer von Index on Censorship. Spender war in erster Linie Dichter. Sein Engagement war immer dann am stärksten, wenn es um unterdrückte Lyrik in diesem Jahrhundert ging.

Einige ihrer Interpreten meinten, die Zensur von Dichtung, ob von links oder rechts, sei eine Art verquerer Anerkennung ihrer Macht. Dem würden wohl nur wenige Dichter, die mit Zensur behelligt wurden, zustimmen. Dennoch muß man sich fragen, warum manche Herrscher so sorgfältig Gedichte lesen, um sie nach subversiven Inhalten abzusuchen. Im Westen, nehmen wir einigermaßen fraglos an, tun sie das nicht. Hier bedient man sich im Allgemeinen eines höchst kommerzialisierten Marktes, um rebellische Stimmen zu marginalisieren. Bedeutungslosigkeit und Verarmung sind hier vertrautere Schreckgespenster als Gefängnis oder Exil.

Diese neueren Mechanismen der Zensur haben sich auch in Ländern ausgebreiten, die das Joch direkter Unterdrückung abgeworfen haben. Viele Beobachter haben auf das Phänomen einer blühenden Pornoindustrie hingewiesen, die den Platz ernstzunehmender Literatur gerade dort eingenommen hat, wo diese einst mit staatlichen Subventionen gefördert wurde. Zwar ging diese Förderung nur allzuoft Hand in Hand mit staatlicher Zensur, doch inzwischen kann man wohl behaupten, daß viele Länder offenbar das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben. Jetzt ist alles erlaubt; und nur wenig Lohnenswertes wird unterstützt.

Nicht, daß Zensur, direkte und indirekte, etwa verschwunden wäre. Westliche Wächter der Meinungsfreiheit hatten nicht nur häufig den Begriff der Freiheit für sich gepachtet, sondern Zensur alleine als ein kommunistisches Phänomen betrachtet. Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Welt glaubten sie, Zensur sei nun kein großes Problem mehr.

An dieser Annahme ist zweierlei falsch. Erstens hat sich dort, wo der Kommunismus durch scheinbar gutgewillte Regimes ersetzt wurde, die Gewohnheit, Zwang auszuüben, beibehalten – beispielsweise in Albanien und anderen, früher der Sowjetunion angeschlossenen Staaten, die in interne Rivalitäten und erbitterte Nationalismen zurückgefallen sind. Zweitens hat sich der westliche Virus des Merkantilismus in den ehemaligen kommunistischen Staaten – die ja nie die Chance hatten, sich dagegen zu immunisieren – als äußerst ansteckend erwiesen. Insofern ist die Wende im Ostblock – und in seinen Außenstationen in Afrika, Asien und in der Karibik – noch lange nicht vollzogen.

Und das Ende des Kalten Krieges hat viel Raum für Tyrannei und Zensur an anderen Orten gelassen, vor allem durch solche Regierungen, die wir als rechtsgerichtet oder fundamentalistisch bezeichnen. Schon ein flüchtiger Durchgang durch die Namensliste ist ziemlich entmutigend: China, Indonesien, Birma, einige islamische Länder einschließlich Saudi-Arabien, Iran und Türkei, Teile Südamerikas und diverse, permanent durch Putsche erschütterte Länder Afrikas. Dort können Schriftsteller heute noch Helden und schon morgen Verräter sein.

Wie T.S. Eliot in anderem Zusammenhang einmal schrieb: „Zwischen Wahrnehmung / und Tat / fällt der Schatten“. Dabei ist dieser Schatten offensichtlich ebenso philisterhaft wie verdächtig. Schriftsteller in diesen Gesellschaften müssen damit rechnen, daß allein die Tatsache, daß sie schreiben, zu Verhören führt.

Vielleicht noch schwieriger ist es, die nicht eindeutig zuzuordnenden Länder aufzulisten, in denen es keine klare Rechtfertigungspflicht für die politisch Verantwortlichen gibt. Denn die Schwächung politischer Tyranneien begünstigt häufig andere gesellschaftliche Diskriminierungsformen. Religiöse Orthodoxie, sexuelle Intoleranz – gegenüber Frauen oder Homosexuellen – und Rassenhaß: All das blüht und gedeiht auch weiterhin.

Eben weil solche Einmischungen in die Arbeit von Schriftstellern weltweit noch immer existieren, hat Index on Censorship wieder ein ganzes Heft dem Thema der besonderen Unterdrückung von Schriftstellern gewidmet, im letzten Jahr ging es um Prosa, dieses Mal geht es um Lyrik.

Alle Texte darin sind Belege dafür, daß es letztlich unmöglich ist, Menschen von ihren Zielen abzuhalten, egal, ob es sich dabei um das Aussprechen der Wahrheit über die Verhältnisse in ihren Ländern handelt oder – ebenso wichtig – um den künstlerischen Impuls, theokratische oder chauvinistische Kräfte zu bekämpfen.

Einem nahezu unglaublichen Verdrängungszusammenhang entspringen die vier Suren der „Arabischen Schöpfungsgeschichte“ in ihrer Rekonstruktion durch Abdullah al-Udhari auf diesen Seiten. Denn der Sieg des Islam im 7. Jahrhundert hat weniger zur Unterdrückung ursprünglicher arabischer Traditionen geführt als vielmehr dazu, daß sie völlig in Vergessenheit gerieten. Die bedeutenden Urschriften präislamischer Lyrik sind wie von einer Flut verschluckt. Und wo noch Überreste von ihnen bekannt wurden, hielt man sie fälschlicherweise für Auszüge aus anderen, besser bekannten Texten der Region, beispielsweise aus dem Buch Genesis.

Der Literaturwissenschaftler Abdullah al-Udhari hat seine lebenslange Forschungsarbeit mit einer Wiederherstellung dieses bedeutenden Werkes aus der religiösen und künstlerischen Tradition der arabischen Kultur gekrönt. In der arabischen Welt, aus der er kommt, wird es allerdings nie publiziert werden.

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