Interview: „Nicht alle Schüler sind kleine Einsteins“
■ Zwei Mathelehrer über die ungeliebte Mathematik und die geplanten Reformen
Dietrich Willing ist stellvertretender Schulleiter und Mathematiklehrer am Gymnasium Allee-Altona, Michael Thoms unterrichtet dort ebenfalls Mathematik.
taz: Mathematik ist für viele ein ungeliebtes Fach. Was ist der Grund? Ist Mathe im Verhältnis schwerer als andere Fächer?
Dietrich Willing: Mathematik ist ein Spiel mit präzise festgelegten, nicht ganz einfachen Regeln. Beherrscht man diese Regeln, so ist es wie bei jedem anderen Spiel. Dann macht es Spaß. Im Gegensatz zu anderen Spielen aber kann man in der Mathematik ohne gewisse Grundregeln nicht viel ausrichten. Diese Regeln zu lernen macht Mühe.
Michael Thoms: Außerdem stelle ich immer wieder fest, daß in Fächern wie Mathematik, eines der Hauptfächer neben Deutsch und Englisch, gerade auch von den Eltern Druck ausgeübt wird und es dem Kind gegenüber heißt: Du mußt in diesem Fach gut sein.
Auch in anderen Fächern gibt es gewisse Grundregeln. Für einen guten Deutschaufsatz zum Beispiel. Das ist also nicht unbedingt mathematikspezifisch.
Willing: Eben weil die Regeln in der Mathematik sehr festgelegt sind, ist jeder Fehler unmittelbar nachweisbar; man kann sich nicht rausreden. In fast allen anderen Schulfächern ist dies bis zu einem gewissen Grad möglich. Diese Tatsache trägt nicht unbedingt zur Beliebtheit von Mathematik unter den Schülern bei.
Ist Mathematik als Pflichtfach bis zur 13. Klasse heute noch sinnvoll? Inwieweit kann das Vermittelte praktisch angewendet werden?
Willing: In einer Vielzahl von Berufen ist die Beherrschung bestimmter mathematischer Gedankengänge sehr wichtig. Das merken die meisten aber erst später.
Die Reformpläne für den Mathematikunterricht sehen – kurz gefaßt – vor, SchülerInnen stärker an das selbständige Erarbeiten von Lösungswegen heranzuführen. Wird sich der Mathematikunterricht dadurch positiv verändern?
Willing: Im Grunde ist das alter Wein in neuen Schläuchen. Außerdem versteht sich so etwas eigentlich für jeden Lehrer von selbst. Es ergibt sich einfach aus der Praxis, daß man nur so vorgehen kann. Aber: Der Lehrer muß manchmal auch Hilfestellungen geben, wenn Schüler mit einer Aufgabe nicht klarkommen. Es sei denn, alle Schüler wären kleine Einsteins. Aber davon gibt es nur sehr wenige.
Thoms: Wenn neue Sachverhalte nahezu ohne Lehrerhilfe erarbeitet werden sollen, dann benötigen Schüler dafür sehr viel Zeit. Wenn sie dann in absehbarer Zeit keine Lösung finden, demotiviert das die Schüler. Das ist ein Problem.
Interview: Vanessa Ogle
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