piwik no script img

E. Marcel – Abgang einer Absteige

■ Jugendliche Asylanten müssen weiter in Wohnschiff Embrica Marcel mit Erwachsenen leben / Mietvertag endet 1998

Im August 1998 läuft der Mietvertrag zwischen dem Land Bremen und dem Eigner des Wohnschiffes „Embrica Marcel“aus; dies teilt der Sprecher der Sozialsenatorin, Holger Bruns mit. In Erwartung viele Asylsuchende unterbringenh zu müssen, war das Schiff vor vier Jahren von Land Bremen angemietet worden. Da wegen regider Gesetzgebung immer weniger Menschen in Bremen Asyl suchen, ist das Wohnschiff bei gleich hohen Kosten zur Zeit nur zur Hälfte belegt. In der Vergangenheit war das Schiff in die Schlagzeilen geraten. Flüchlingsvereine verurteilten das Zusammenpferchen der Asylsuchenden in einem Ghetto als menschenverachtend. Vor allen Dingen wurde kritisiert, daß unbegleitete Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren mit fremden Erwachsenen auf dem Schiff zusammengelegt würden. Der Flüchtlingsarbeitskreis Walle bezeichnete diese Situation als schädlich für die Jugendlichen. Zur Zeit leben 39 Jugendliche unter 18 Jahren mit ca. 200 Erwachsenen auf dem Schiff.

„Es ist ein Skandal“, erregt sich Konrad Sies vom Flüchtlingsarbeitskreis Walle. „Im August letzten Jahres hat der Jugendhilfeausschuß klargestellt, daß das Schiff für unbegleitete, minderjährige Jugendliche keine geeignete Wohnstätte ist. Bis heute ist nichts passiert. Ja, es leben noch mehr Jugendliche auf der Embrica Marcel.“

In einem Brief vom Dezember letzten Jahres an den parlamentarischen Ausländerausschuß hatte Sozialstaatsrat Hans-Christoph Hoppensack dargestellt, daß nach dem Asylverfahrensgesetz asylsuchende Jugendliche ab 16 Jahren (im Gegensatz zu deutschen Jugendlichen, Anm. T. S.) als Erwachsene betrachtet und behandelt werden. Demnach sei eine Zusammenlegung mit über 18jährigen gesetzlich korrekt. Darüberhinaus biete Bremen aber die Möglichkeit, in begründeten Einzelfällen 16- und 17jährige Asylanten als Minderjährige im Sinne des Jugendhilfegesetzes zu behandeln. In diesem Falle könnten die Jugendlichen einer betreuten Wohngemeinschaft von Gleichaltrigen zugewiesen werden. In Bremen, so der Staatsrat, würde dies toleranter als in anderen Bundesländern gehandhabt.

Pfarrer Scherrer von der Waller Immanuel-Gemeinde weist auf die Situation der Jugendlichen hin. „Da kommen doch keine selbstbewußten Erwachsenen zu uns, sondern geschädigte, verzweifelte Kinder, die unsere Sprache nicht verstehen, ohne Familie, mit allen schlimmen Erfahrungen aus ihrer Heimat.“Und Christine Cordes von der Berufschule Walle fügt hinzu: „Alle asylsuchenden Kinder unter 18 haben einen besonderen Erziehungsanspruch und müssen behutsam gefördert werden.“

„Es stimmt nicht, daß die Verhältnisse auf dem Schiff jugendgefährdend sind“, sagt der Sprecher der Sozialsenatorin, Holger Bruns, „so eine Aussage diskriminiert die dort lebenden Erwachsenen.“

Ingesamt wohnen 120 asylsuchende, unbegleitete Jugendliche unter 18 Jahren in Bremen. Eva Maria Friedrichsen von terre des hommes fordert grundsätzlich: „Alle Jugendlichen unter 18 Jahren müssen nach dem deutschen Jugendhilferecht als Minderjährige behandelt werden. Ein Zusammenpferchen mit fremden Erwachsenen provoziert ein soziales Abrutschen der Jugendlichen.“

Thomas Schumacher

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen