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Forever old

Wie die neue Platte von Bob Dylan erschien, wie sie war und was sonst noch geschah. Ein Monatszyklus  ■ Von Thomas Groß

„It takes a lot to laugh,

it takes a train to cry“

Bob Dylan

Berlin, 4.9. 97

Ein Abstellgleis als Ort für die Pre- Listening-Session zur neuen Dylan-CD – hat sich da jemand was dabei gedacht? Ein schmutziges Dutzend nicht mehr sehr junger Männer des journalistischen Gewerbes nebst stark minoritärem Anteil ebensolcher Frauen drückt sich schnittchenessend auf den Bänken eines angemieteten U- Bahnwaggons herum, um erste Höreindrücke davonzutragen. Dylan, Hobos, Güterzüge – so wohl die Idee hinter der Promo, nur aussteigen darf man nicht, „aus Sicherheitsgründen“, wie die Frau von Radio Eins („Jetzt will Ihr Radio nur noch Eins“) betont. „No Exit“, zischt einer vor sich hin, als handle es sich um ein Dylan-Stück, das nur er kennt. Dann bringt der DJ es hinter sich.

Elf Songs, die – soviel ist in dem Trubel herauszuhören – von Einsamkeit handeln, vorgetragen aus der Perspektive eines älteren Mannes, der irgendwie nicht klarkommt, herumeiert, sich fragt, „if everything is as hollow as it seems“. Kein Grund, aus dem Häuschen zu geraten, kein Grund, etwa Dirk Darmstädter nicht zu mögen, den freundlichen Ex-Sänger der Jeremy Days, der gleich im Anschluß ein paar Lieder von seiner neuen CD für uns schrummen wird – obwohl: läuft hier nicht irgend etwas fürchterlich verkehrt? Geht es in dieser Location, bei den reisenden Schnittchenschmierern, noch wirklich um D-Y-L-A-N, den größten Singer/Songwriter aller Zeiten? (Sag' ich jetzt mal so.)

Regungen uralten Dylan-Fundamentalismus: Knuff! Die Händler aus dem Tempel jagen! Das Gute vom Bösen scheiden! Denn, wie es in einem Song des Meisters heißt: Es kann der Teufel sein oder auch der HErr, „but you're gonna have to serve somebody“.

Leider allerdings ins Stammeln geraten, als die Radio-Eins-Dame den Kelch nicht an mir vorübergehen ließ und mit dem Mikro ein Statement abzapfte. Womöglich verwendet sie es noch als O-Ton!

5.9. 97

Muß dem Promoter von Sony unbedingt ein Vorab-Tape aus dem Kreuz leiern, aber alle irgendwie in Urlaub. Oder sie wollen's absichtlich nicht rausrücken. Daß ein Mann vom Format Dylans aber auch dieses entwürdigende Spiel der künstlichen Produktverknappung im Vorfeld eines medialen Events einfach so mitmacht. Ist doch was für Oasis & Co! Falsches Management, falsche Freunde?

10.9. 97

Im Grunde müßte man die Sache von der theologischen Seite her angehen, aber profan gewendet. Walter Benjamin, 1. geschichtsphilosophische These, so in dem Dreh: der kleine häßliche Zwerg Transzendenz, der unten im Gestänge hockt, aber dem Schachspieler Historischer Materialismus, der alten Marionette, die entscheidenden Züge vorgibt. Mit der linken Hand quasi. Oder frei nach Lenin: Glück = Popmacht + Elektrizität. Das ist es doch, was Dylan geleistet hat: die Übersetzung religiöser Sehnsüchte in Elektrik, in Beat poetry. Messianismus für die Jukebox. „It'll soon shake your windows and rattle your walls“ – das ist Bibelton für Beatniks. Und nur einer von vielen katechetischen Sprüchen, die in den unverbrüchlichen Zitatenschatz der Generationen Q, R, S, T, vielleicht noch vereinzelt U und V eingegangen sind.

Nur so ist ja auch erklärbar, sogar logisch, daß einer wie Dylan irgendwann beim Papst landet. Robert Allen Zimmerman, der Sohn eines Möbelhändlers aus Duluth, Minnesota, sieht sich – nicht ganz zu Unrecht – als Kirchengründer. In komplizierten Zyklen von Sterben und Wiedergeburt hat er sich über die Jahre immer wieder neu erfunden, nach der frühen Phase als Politnik als hipper Elektrolurch, dann als singender Landmann, schließlich als verwegener Entertainer mit Lidschatten, zuallerletzt als Barfußprediger, der zur Akustischen Kunde gibt von mythischen Losergestalten – aber immer untergründig messianisch, „a wicked messenger“, wie es in einem seiner großen Lieder heißt. Was also die Sache mit Bob und Johannes Paul anbelangt: Noch ist nicht ausgemacht, wer hier bei wem Einkehr hält.

Freilich wäre etwas Talmud- Studium unumgänglich, um die jüdischen Wurzeln dieses popkulturellen Chiliasmus freizulegen ... die Vermittlung in die Dialektik der Sixties/Seventies-Gegenkultur vielleiiiicht nicht unproblematisch ... außerdem: unter 7.000 Zeilen kaum zu bewältigen.

Chefredaktion um Dylan-Sonderbeilage angehen? Sonst bringen sie doch auch alles, von Hanfhaus bis Ökowohnen. Ist doch wahr!

15.9. 97

Nachts aufgewacht mit wichtiger Botschaft auf dem inneren Bildschirm: unbedingt Eindruck des „Dylanologen“ vermeiden!

19.9. 97

Phänotypisch gesehen: Im Falle Mick Jaggers erscheint Altern als Dehydrierung bei gleichzeitiger Konservierung des Joggingkörpers, bei Dylan ist es ein Prozeß des Vermuffelns, Zerknitterns, eine Materialermüdung. Ähnliche Differenz in der Stimme. Jagger: eben doch Potenzgeknödel, röhrender Hirsch, während Dylan trotz zunehmender Vergruftung noch etwas hat vom Gesang des „Präriehundes, der sich in einem Stacheldrahtzaun verfangen hat“ (wie es an einer Stelle der Biographie von Scaduto heißt).

24.9. 97

Höhnisch aufgelacht, als der Sony- Mann mich wissen ließ, daß Amerika nicht liefert. Ob und wann Promos von „Time Out Of Mind“, so heißt sie, an die Presse rausgehen werden – god only knows! Hilft nichts, muß das Teil am Erscheinungstag im Laden kaufen. Nachher meckert die Rechnungsstelle wieder. Oder der Ressortleiter.

Im Internet, wo die Alleswisser wohnen, läuft die Gemeinde bereits heiß: „Dylan has reinvented himself“, „Thank you, Bob Dylan, and welcome back!“ Greil Marcus, der Oberexeget, gesteht in einem Interview, daß die 17 Minuten des Schlußtitels „Highlands“, die er in einer Sondervorführung zu Gehör bekam, wie im Flug für ihn vergangen seien. „The song is someone else's dream, but as Dylan sings, you are dreaming it. And you can't wake up.“ Das kann ja heiter werden!

Nachmittags Dylan-Artikelangebot von Günter „Sexfront“ Amendt, der bereits seit 14 Tagen im Besitz des Tapes ist, er habe da so seine „Kanäle“. In Jahrzehnten aufgebaut. Sein Tip: Sollte man das Werk zunächst scheiße finden – ganz laut unter einem guten Kopfhörer hören! Das hilft! Artikel im Namen kommender Generationen höflich abgelehnt. Lieber keinen Alt-68er ranlassen. Dies hier muß ich alleine durchziehen!

27.9. 97

Beim Papst sah der Prophet doch recht alt aus. Ein Fingerzeig? Seht her, ich bin schwach?

28.9. 97

Montag wird's ernst. „The hour when the ship comes in“!

29.9. 97

Morgenkonferenz geschwänzt, um gleich zu Geschäftsbeginn bei Saturn am Alexanderplatz das Objekt zu erstehen, aber unter „Neuheiten“ nur Rammstein, Scooter, Schlager und Kuschelrock vorgefunden. Kann es sein, daß sie den Artikel gar nicht mehr führen?! Die Verkäuferin meint, Dylan sei nur noch nicht ausgepackt, erst gegen Mittag. UND WIESO NICHT? höre ich, ein zurückhaltender Mann Ende dreißig, mich aufbegehren. Die blöden Stones, die zeitgleich rauskommen, seien doch schließlich auch in der Offerte, und zwar gleich stapelweise! Sie mustert mich lange von oben bis unten.

Daß später Stäpelchen von „Time Out Of Mind“ sich lieblos in den Regalen drängeln, muß wohl so sein. „Shakespeare, he's in the alley now...“

Abends dann endlich Dylan und ich allein zu Haus. Nach 73 Minuten Horchen auf Zeichen und Wunder inklusive Parallellektüre der aus dem Internet heruntergeladenen Texte, also bestmögliches, bibelfestes Setting: Riesenenttäuschung. „Gonna walk down that dirt road / 'Til someone will let me ride / If I can't find my baby / I'm gonna run away and hide“ – das soll Dylan sein? Klischeenummern wie aus Provinzblueskneipen, die „Blue Monday“ heißen, wo Männer, genauer gesagt Szenemacker, womöglich noch lederbehost, ihre Einsamkeit in Alkohol ertränken. Traurig, das. Fünf Bier.

30.9. 97

Vielleicht muß man dem Werk Zeit geben, sich im Lebensweltlichen zu entfalten, und nicht wie Spiegel, Berliner Zeitung und FAZ – ha! – termingerecht mit Schnellschüssen herauskommen, mehr Schein als Sein. Wären da nur nicht die Texte. Es ist eine vergreinte Angelegenheit, die Dylan vom Stapel läßt. Jemand möchte noch gerade eben in den Himmel kommen, bevor sie die Schotten dicht machen. Möchte Olympier sein, der die Musen küßt und sich von ihnen küssen läßt, „but I'm still a million miles from you“.

Eigenartig, daß Klassiker (siehe Lou Reed, siehe Goethe) in ihrem Herbst oft „die Liebe“ als Generalthema entdecken. Am schlimmsten hier in dem von Greil Marcus so gepriesenen „Highlands“. Komischer alter Typ trifft auf Bedienung in einer Niemandslandkneipe. Sie, mit den langen weißen Beinen: Hey, Baby, bist'n du für einer? Er: Bring mir halt 'n paar hartgekochte Eier, du. Sie: Du liest wohl nicht allzu viele feministische Autorinnen, was? Er: Mag wohl so sein, denn mein Herz ist in den Highlands, und „what I need might be a full length leather coat“. Ächz! Altmännnerschweinkram der schlimmsten Sorte! Oder ist es „sardonischer“ Humor?

Auch muß gefragt werden, ob Dylan mit Daniel Lanois als Produzent so gut beraten war. Der Mann ist doch ein Blender! Einer, den man anruft, wenn man als „Legende“ (siehe U2, siehe Peter Gabriel) nicht mehr weiter weiß, sich aber zu einem radikalen Schritt nicht entschließen kann. Und der dann die nötigen Tricks auf den Rippen hat, einen antiquierten Sound behutsam zu modernisieren und gleichzeitig künstliche Patina draufzupinseln. Hörbar hat die Band, die Dylan aus dem unerschöpflichen Reservoir irgendwie dylanesker Typen herausgepickt hat (Jim Dickinson, Duke Robillard, Augie Myers – Kleinlegenden, die sich „geehrt“ fühlen konnten) Mühe, ihre in Jahren des Studiomusikerdaseins erworbene Ausgefuchstheit zu unterschreiten. Es ist, als würde Pygmalion seine eigenen Geschöpfe anrufen, ihm den Gefallen zu tun, sich in die Intentionen des Meisters zurückzuversetzen, es ist im Grunde eine Quälerei. Mit zusammengebissenen Zähnen inszenieren sie eine Simplizität, die so nur vor 30 Jahren möglich war: Plug in, turn on, drop out.

1.10. 97

Aber sagt nicht die Bibel, du sollst Vater und Mutter ehren? Es ist schon recht, Ma, ich blute ja nur? Es ist okay, Dad, aber du hast echt Scheiße gebaut? Sehen wir es so: „Time Out Of Mind“ ist das Werk eines todkrankenen Rockopas von 56 Jahren, der seine Zeitgenossen hat wegsterben sehen; der nie, vielleicht nur aus seltbstverschuldeter Schwäche, so groß wie die Beatles wurde, aber irgendwie Stellung hält; der gerade erst von einer lebensgefährdenden, pilzbedingten Herzsackerkrankung (Pericarditis/ Histoplasmosis) genesen ist. Das ist kein Zuckerschlecken, Leute! Der Buchstabenzauber der Fan- Exegeten liegt gar nicht mal so falsch. Wir haben es mit einem Testament zu tun. „Time Out Of Mind“ = „TOOM“ = Tomb = Grab.

2.10. 97

Es gibt doch eine gute Stelle! „When you think that you lost ev'rything, you find out you can always looooose a little more...“

4.10. 97

Kinder, Besoffene und Anekdoten sagen die Wahrheit. Allen Ginsberg, mittlerweile selbst von uns gegangen, soll auf die Frage eines Reporters, ob Dylan sich verkauft habe, einmal geantwortet haben: „Nur an Gott.“ Viel fehlt nicht mehr, und der „Dada King“ (Joan Baez) ist dort angelangt.

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