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Abstrafung für Kritik an der DDR

■ Weißenseer PDS streitet um erneute Kandidatur von Manfred Müller für den Bundestag. Der West-Gewerkschaftler hatte das DDR-System kritisiert und Urteile gegen das Politbüro begrüßt

Die PDS in Weißensee steht vor einer Zerreißprobe. Ein Streit um die erneute Kandidatur des Bundestagsabgeordneten Manfred Müller und dessen Haltung zur DDR-Vergangenheit legt die Partei lahm. Weißensees PDS-Vorsitzender Gernot Klemm hat mit seinem Rücktritt gedroht, weil die PDS „in Anbetracht der stetig am Leben gehaltenen Debatte seit Monaten nicht mehr politikfähig ist“. Kommunale Themen blieben unbearbeitet.

Hintergrund der Debatte ist die Nominierung des PDS-Kandidaten im Wahlkreis Pankow/Weißensee/Hohenschönhausen für die Bundestagswahl 1998. Bisher bewirbt sich sich nur der jetzige Amtsinhaber, der ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft HBV, Manfred Müller aus Neukölln. Entschieden wird erst um den Jahreswechsel. Bundesvorstand und Bezirksvorstände in Hohenschönhausen und Pankow sprechen sich für eine erneute Kandidatur von Müller aus.

Doch an der Weißenseer Basis ist Müller umstritten. Seit seiner Wahl 1994 wurde er von den GenosssInnen seines Wahlkreises wiederholt scharf attackiert. Müller bezeichnete das Grenzregime der DDR als Unrecht: Er könne sich nur kritisch mit der Flüchtlingspolitik an der deutschen Ostgrenze auseinandersetzen, wenn er auch seine kritische Haltung zum Grenzregime der DDR offen äußere. Den von großen Teilen der PDS verwendeten Begriff der „Siegerjustiz“ lehnt Müller ab. Als Gewerkschaftsfunktionär habe er positive Erfahrungen mit dem Prinzip der Gewaltenteilung gemacht. Müller vertritt auch die Auffassung, die PDS müsse die Strafwürdigkeit des Politbüros anerkennen. Er kritisierte die PDS— Schelte für die Verurteilung von Egon Krenz und Genossen.

In der Kritik an Müller gibt es nach Angaben von Müllers Wahlkreismitarbeiter Wolfgang Girnus „eine merkwürdige Allianz zwischen älteren Traditionalisten und jungen Radikalen“. Die DDR- Nostalgiker träfen sich mit den Radikaloppositionellen in ihrer Ablehnung des politischen Systems der Bundesrepublik um jeden Preis. Müller symbolisiere für sie „eine Anbiederung der PDS um fast jeden Preis bei den etablierten Parteien“. Die Jugendorganisation der Weißenseer PDS hat einen Aufruf „Keine Unterstützung für Manfred Müller“ verbreitet. Darin unterstellen sie Müller, für den SFOR-Einsatz deutscher Truppen im ehemaligen Jugoslawien gestimmt zu haben und sich bei anderen Parteien „anzubiedern“. Müller wies diese Vorwürfe zurück und drohte mit Strafantrag.

Hohenschönhausens PDS-Chefin Annegret Gabelin verweist darauf, daß es auch in ihrem Bezirk „Irritationen bei älteren PDS-Mitgliedern“ gäbe, die Müller „seinen kritischen Umgang mit der DDR- Geschichte nicht verzeihen und damit ihr Lebenswerk angegriffen sehen“. Doch Müller, der von einzelnen als „Überläufer“ und „Schlange an unserem Busen“ bezeichnet wurde, habe immer wieder mit den GenossInnen diskutiert. Die hätten schließlich akzeptiert, daß er als Wessi eine andere Sicht haben dürfe als sie. Der Bezirksvorstand hingegen teilt Müllers kritische Positionen und hält „Widerstand gegen alle Versuche, die von Müller aufgeworfene Frage vom Tisch zu wischen“ für nötig.

Der Sprecher des Bundesvorstandes, Hanno Harnisch, sieht den wahren Grund für den Widerstand gegen die Müller-Kandidatur in einer Ablehnung von Realpolitik. „Die Weißenseer wollen einfach nicht, daß die PDS auf Politikangebote von SPD und Bündnisgrünen zugeht.“ Marina Mai

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