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So ein Mann, so ein Mann...

Lachsbrötchen sind out, Bratwurst ist in: Bei den German Classics in Bremen ist zu beobachten, wie die Springreiter erfolgreich einen Trend umgekehrt haben  ■ Aus Bremen Anja Philipp-Kindler

Was ist dran an diesem Mann? Er wirkt nicht größer als 1,50 Meter. Er ist füllig und hat ein Knautschgesicht. Und Rhetorik ist nicht seine Stärke. „Zu Doping sach ich nix“, brüllte er, wenn neugierige Zeitgenossen ihn am vergangenen Wochenende während der German Classics auf dieses Thema ansprachen. Doch immer wenn der 55jährige in die ausverkaufte Bremer Stadthalle ritt, schrien die Zuschauer „Hugo, Hugo!“ Warum nur?

„Hugo Simon ist ein Publikumsmagnet“, war von Kollegen zu hören, „die Leute lieben ihn, vielleicht weil er so lustig aussieht.“ Doch wenn es um seine Pferde geht, mag der kleine Mann gar nicht mehr lustig sein. Gar grausige Dinge werden dem Österreicher vorgeworfen. Einer seiner Pferdepfleger hatte sich nämlich während der Europameisterschaft Ende August in Mannheim mit einer Spritze in der Hand erwischen lassen. Der Pfleger stand neben ET., Simons Top-Pferd. Was in der Spritze war, steht immer noch nicht fest, nur Dopingpräparate wohl nicht. Danach hat ein Speziallabor im englischen Newmarket gesucht und nichts gefunden.

Doch was war dann da los? Gerüchte gibt es viele, fest steht nur eins: Ein Pferdepfleger darf während eines Turniers nicht mit einer Spritze neben einem Pferd stehen. Das ist nur Tierärzten erlaubt. Und deshalb könnte die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) Simon noch einigen Ärger machen.

Oder auch nicht. Böse Stimmen behaupten, daß der Pferdepfleger wahrscheinlich für eine angemessene Abfindung alle Schuld auf sich nehmen wird. Sollte dem so sein, hat Hugo Simon in Bremen schon etwas Geld auf die Seite geschafft. Seine Pferde sprangen in Bremen ausgesprochen hoch über die Hinternisse und brachten ihm einige tausend Mark ein.

Viel Geld gibt es nun schon seit acht Jahren auf dem höchstdotiertesten Hallenreitturnier der Welt zu gewinnen. Insgesamt sind es 850.000 Mark. Daran hat sich nichts geändert. Doch was 1989 als Nobeltreff der Reiterelite Premiere hatte, mutierte im Laufe der Jahre immer mehr zum Familienausflug. Die Landbevölkerung macht sich auf nach Bremen, dem Dorf mit Straßenbahn.

„Gott sei dank ist die Kaviarzeit vorbei“, sagt Mannschaftsolympiasieger Lars Nieberg, ein Mann, der mehr im Stall als in VIP-Loungen zu Hause ist, „ich mag Bratwurst und will keinen Kaviar.“ Und auch Mitorganisator Rüdiger Hoffmann gibt zu: „Wir sind damals mit Tiriac einen Irrweg gegangen.“ Damals, das war vor acht Jahren, als die Bremer Stadthalle mit Samt und Geschmeide zum ersten Mal für die German Classics aufgemotzt wurde. Für das ansprechende Ambiente hatte Tennisimpresario Ion Tiriac gesorgt, der mit Pferdehändler Paul Schockemöhle die German Classics ins Leben gerufen hatte. Doch Bremen hat nur wenige VIPs zu bieten. Und die futterten kostenlos Kaviar, während das gemeine Fußvolk sich halbe Gummilachsbrötchen für zehn Mark leistete. Das kam nicht an. Also blieben die Zuschauerränge leer. Jetzt sind Tiriac, Samt und Kaviar weg, Jagdhornbläser, Bratwurst- und Rollmopsstände sind da und die German Classics an allen Tagen ausverkauft.

In diesem Jahr schaute auch Michail Gorbatschow vorbei. Der brauchte Geld für seine Stiftung, die russische Wissenschaftler unterstützt, und bekam dafür einen Scheck überreicht. Das gefällt der Landbevölkerung und den Kindern, die freien Eintritt haben und Autogramme von den Beerbaums und Sloothaaks sammeln. Eine mußte besonders oft ihren Namen auf Progammhefte, Zettel oder Klamotten kritzeln: Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Haya Bint al-Hussein von Jordanien. Vornehmlich hielt Königliche Hoheit auf teuer erkauften oder geleasten Pferden Hof. Die sollten sie unbeschadet über die Hindernisse tragen. Das gelang freilich nicht immer reibungslos. Für einen PR- Gag reichte ihr Auftritt allemal.

Noch eine Werbeidee hatte Turnierchef Schockemöhle ausgebrütet: die Continental Classics. Diesen „Wettkampf der Erdteile“ zimmerte der Ex-Europameister als Pseudo-Olympiade zurecht für das Privatfernsehen, das die Prüfung in alle Welt übertrug. Unter anderem durften Frau Hoheit, zwei Koreaner, eine Philippina und ein Südafrikaner antreten. Dafür, daß die nicht nach wenigen Stunden und vielen zertretenen Hindernisstangen entnervt ihre Sachen packten, hatte Schockemöhle gesorgt. Er ließ die Planken ein wenig niedriger hängen und setzte die Reiter größtenteils auf seine eigenen Pferde.

Das hat nichts mit Multikulti- Barmherzigkeit zu tun, sondern könnte sich in Zukunft in barer Münze auszahlen, denn die beiden Koreaner, die übrigens bei Schockemöhle in Mühlen trainieren, werden vom Elektronikkonzern Samsung gesponsert. Und vielleicht geben die finanzkräftigen Koreaner schon im nächsten Jahr ein paar Mark zum Preisgeld dazu.

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