■ Vier Jahre lang versetzte eine Serie von ausländerfeindlichen Bombenanschlägen Österreich in Furcht. Jetzt ging der Polizei per Zufall der Attentäter ins Netz. Die Suche nach Komplizen geht weiter: Gefaßt: Der einsame Terrorist
Vier Jahre lang versetzte eine Serie von ausländerfeindlichen Bombenanschlägen Österreich in Furcht. Jetzt ging der Polizei per Zufall der Attentäter ins Netz. Die Suche nach Komplizen geht weiter
Gefaßt: Der einsame Terrorist
„Verdächtige Sendung an sicheren Ort ablegen. Fenster öffnen. Decke über die verdächtige Sendung legen. Zimmer räumen. Unbeteiligte fernhalten, Exekutive rufen.“ Das Innenministerium warnt vor Brief- oder Buchbomben, die ihre Adressaten in diesen Tagen erreichen könnten. Denn eines steht seit Samstag inzwischen fest: Der 48jährige Franz Fuchs, der Mittwoch abend in der Südsteiermark festgenommen wurde, ist mit dem geheimnisvollen Attentäter identisch, der seit Dezember 1993 ganz Österreich durch Briefbomben und Sprengstoffanschläge in Schrecken und Angst versetzte.
Unter seinem Bett fanden die Experten der Sonderkommission für Briefbomben Schaltpläne für verschiedene Bomben, darunter den exakten Aufbau der Bombenserie vom Dezember 1995. Das Typenrad einer Schreibmaschine stimmt mit dem Schriftbild eines Bekennerschreibens vom Februar 1995 überein, eine Anzahl elektrischer Bauteile kannten die Fahnder von Bomben, die rechtzeitig entschärft werden konnten.
Das Täterprofil paßt auf den Bombenbastler
Auch Biographie und Lebensumstände des arbeitslosen Vermessungstechnikers entsprechen weitgehend dem Täterprofil, das der Chefpsychologe des Innenministeriums, Thomas Müller, vom „Bombenhirn“ entworfen hatte: um die 50, alleinstehend, lebt in Einfamilienhaus mit Werkstatt in Niederösterreich, der Steiermark, Burgenland oder Kärnten, hat Abitur und ausgeprägte Kenntnisse der Physik und Chemie, ist katholisch und ordnungsliebend. Der Psychologe vermutete außerdem markante Einschnitte im Privatleben in den Jahren 1985 und 1993. Die Analyse trifft zumindest teilweise zu. In den achtziger Jahren, als Fuchs in Deutschland arbeitete, wurde er von seiner slowenischen Freundin verlassen. Diese Enttäuschung könnte seine Einstellung zu Frauen und zu Ausländerinnen im Besonderen geprägt haben. Die Fahnder fanden auch Hinweise auf die Herstellung von Buchbomben, die möglicherweise verschickt wurden. In einem Blumentopf entdeckten sie eine Sprengfalle aus einem Kilo Nägel, Patronen und Nitrozellulose (Schießwolle) samt Zeitschalter.
Unklar ist, ob der Bombenbastler, der im Grazer Landeskrankenhaus liegt, weil ihm beide Hände weggerissen wurden, als er bei einer Verkehrskontrolle eine Rohrbombe zündete, Komplizen hat. Zwar spricht viel für eine Einzeltätertheorie. Fuchs lebte völlig isoliert im Haus seiner Eltern, war seit 1989 arbeitslos und vermied jeden Kontakt mit den Leuten im Dorf. Wie er die teure Bastelei finanzierte, ist noch ungeklärt. Er bezog weder Arbeitslosenunterstützung noch Sozialhilfe. Von den Eltern bekam er nur Kost und Logis. Doch vermissen die Fahnder historische Literatur, die dem Schreiber der zu den Anschlägen jeweils auftauchenden Bekennerbriefe einer „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ Kenntnisse über die Bajuwaren und eine Anzahl mittelalterlicher Fürsten verschafft haben muß. In den abwechselnd mit Rüdiger von Starhemberg, Andreas Hofer oder Friedrich II. der Streitbare unterzeichneten Pamphleten schwadroniert ein besessener Autor über die Ursprünge der österreichischen Nationalität, über den „Triumph des Herrenmenschen“ und den „Zigeunerabkömmling Clinton“, und den ehemaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky als einen „mit Speckrollen am Hals und Kongolippen ausgestatteten Slawenhäuptling“.
Es sei verfrüht, „sich über das Knacken einer Denksportaufgabe eines Wahnsinnigen zu freuen“, meinte der damalige Innenminister Caspar Einem im Oktober 1996, als ein verschlüsseltes Bekennerschreiben schneller, als vom Absender erwartet, geknackt worden war. Mit der Beschreibung des Täters als „Wahnsinniger“ könnte der Minister der Wahrheit nahegekommen sein. Franz Fuchs werden von den Angehörigen und Dorfbewohnern keine rechtsradikalen Bekanntschaften oder Meinungsäußerungen nachgesagt. Im Gegenteil: Sein Vater erzählt, er hätte beim Fernsehen gelegentlich Mitleid mit attackierten Ausländern geäußert. Als Sohn einer unehelichen Tochter einer Leichenwäscherin mit einem Zugereisten, der im Dorf „Italiener“ genannt wurde, stammt er selber aus einer keineswegs dem Herrenrassen- Schema entsprechenden Familie.
Kein Hinweis auf rechtsradikales Netzwerk
Die Ergreifung des Franz Fuchs bringt jedenfalls Verschwörungstheorien zu Fall, die im Laufe der Jahre um die Briefbombenserie gesponnen worden sind. Bislang gibt es auch noch keinen Hinweis auf ein rechtsradikales Netz, das hinter den Anschlägen stehen könnte. Bereits die beiden Rechtsextremisten Binder und Radl, gegen die 1995 ein Prozeß wegen des Bombenterrors angestrengt wurde, konnten mangels Beweisen nur wegen nationalsozialistischer Propaganda verurteilt werden. Der geheimnisvolle Ingenieur Gerhard Pawilowski, der im Frühjahr festgenommen wurde, durfte bald wieder als freier Mann über die Behörden höhnen. Die Ratlosigkeit der Ermittler war tatsächlich so groß, daß einige Analytiker die Drahtzieher einer rechtsextremen Terrororganisation gar im Innenministerium selbst vermuteten. Der verstümmelte Untersuchungshäftling selbst hüllt sich bislang beharrlich in Schweigen. Ralf Leonhard, Wien
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