: Zuviel Rücksicht auf den polnischen Nachbarn?
Das „Jahrhunderthochwasser“ der Oder traf Polen und Tschechen viel härter als die Deutschen. Doch während die Regierung Brandenburgs nun neue Überflutungsflächen zum besseren Schutz vor Überschwemmungen ausweisen will, plant Warschau den Ausbau des Flusses zu einer internationalen Wasserstraße. Die Gefahren für Mensch und Natur beiderseits der Grenze werden größer, doch Proteste kommen bisher nur von den Polen selbst ■ Von Gundrun Giese
Der Oderdeich bei Aurith wächst mit jedem Tag ein Stück. Die neue Barriere wird höher und massiger als das von der Flut zerstörte Vorgängermodell. Für die Bewohner der Ziltendorfer Niederung – der einzigen Region Brandenburgs, die beim Oder-Sommerhochwasser überschwemmt war – bedeutet das neue Bauwerk mehr Sicherheit. Doch für den langfristigen Hochwasserschutz ist der Deich nachrangig.
Das Wasser der Oder war kaum auf Normalpegel gesunken, da vereinbarten Regierungsvertreter aus der Bundesrepublik, Polen und Tschechien gemeinsame Gespräche über den künftigen Schutz vor dem Hochwasser. Nach den ersten Treffen und Diskussionsrunden scheint allerdings nur eines festzustehen: Die Verhandlungen werden schwierig und langwierig.
Und dies hat seinen Grund. Besonders in Polen gehen die Vorstellungen über die Zukunft der Oder weit auseinander. Warschau verfolgt das sogenannte „Programm 2005“, das den Ausbau des Flusses in seinem mittleren Lauf vorsieht. Eine internationale Wasserstraße, die das ganze Jahr über schiffbar ist, soll so entstehen. Bisher führt die Oder im Sommer oft zuwenig Wasser für Güterschiffe. Durch den Bau neuer Staustufen erhielte man die Möglichkeit, den Wasserpegel zu regulieren.
Dagegen halten nicht nur Umweltschützer. Vor allem seit dem diesjährigen Hochwasser, das Polen viel stärker als Deutschland betraf, stehen viele Lokalpolitiker den Ausbauplänen der Regierung mehr als skeptisch gegenüber. Ireneusz Chojnacki, Mitarbeiter des WWF-Aueninstituts aus Potsdam, hat in den letzten Wochen erfahren, wie die Stimmung in der Oderregion ist: „In den Umweltämtern vor Ort wird ernsthaft überlegt, mehr Überflutungsräume zu schaffen.“ Vom geplanten Oderausbau halte man dort wenig.
Doch für die Regierung in Warschau ist das Programm 2005 auch eine Prestigefrage. Um den Fluß durchgehend schiffbar zu machen, sind ab Raciborz nicht weniger als 21 neue Staustufen geplant. Dabei gibt es im Oberlauf bereits 24 Staustufen. Die Forderung nach immer neuen Staustufen hat ihren Grund. WWF-Mitarbeiter Chojnacki: „Da es hinter Staustufen durch die höhere Wassergeschwindigkeit immer zu einer Bodenerosion kommt, sackt das Grundwasser ab.“ Weitere Staustufen sind dann notwendig, um gleichmäßige Wasserstände zu erreichen. Doch sobald ähnlich viel Regen im Bereich der Oderquelle fällt wie in diesem Sommer, können die Staubecken die Wassermengen nicht mehr aufhalten. Wirksame Hilfe versprechen in diesen Fällen nur weiträumige Überlaufflächen wie Polder oder Auenwälder. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Bei der Realisierung des Ausbauprogramms würde die Oder an einigen Stellen begradigt; der Wasserabfluß damit weiter beschleunigt.
Da ein Rückbau der Regulierungsmaßnahmen nach Ansicht Chojnackis unmöglich ist, geht es für ihn und seine Mitstreiter nun darum, das Programm 2005 ganz zu stoppen. „Bisher ist noch keine umfassende Wirtschaftlichkeitsberechnung vorgelegt worden, die die Vordringlichkeit des Oder- Ausbaus belegt hätte“, sagt der Mann vom Aueninstitut. Tatsächlich werden derzeit vor allem Baustoffe und Kohle über die Oder transportiert – Massengüter ohne große Zukunft. Mit Fertigstellung der vielen Bauprojekte in Berlin wird der Bedarf an Transporten auf dem Wasserweg eher abnehmen. „Auch die parallel zur Oder verlaufende Bahnstrecke ist längst nicht ausgelastet“, weiß Ireneusz Chojnacki. In Polen werden, wie überall, die meisten Güter auf der Straße befördert.
Von deutscher Seite ist man dennoch sehr vorsichtig mit Empfehlungen in Richtung Polen. „Wir müssen zunächst auf der eigenen Seite mit dem Hochwasserschutz ansetzen“, sagt Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck (SPD). Und dieses Geschäft betreibt er ernsthaft und mit Verve. Priorität hat zwar zunächst der Wiederaufbau der Deiche. Rechtzeitig vor den erwarteten Winterhochwassern werden mit über 20 Millionen Mark die Hauptdeiche zwischen Ziltendorfer Niederung und dem Nationalpark Unteres Odertal wiederhergestellt sein.
Danach jedoch sollen so schnell wie möglich an den brandenburgischen Oderufern neue Überflutungsflächen von insgesamt rund 6.000 Hektar ausgewiesen werden. Teile der Neuzeller Niederung südlich von Frankfurt etwa oder der Lunow-Stolper Trockenpolder (nördlich des Oderbruchs), der Kienitz-Sophienthaler Polder weiter südlich sowie das Gartzer Bruch. Mit Umsiedlungen wäre das kaum verbunden; in einem Fall müßten lediglich die BesitzerInnen von vier Bauernhöfen bzw. Bungalows entschädigt werden.
Doch in Brandenburg rührt sich erheblicher Protest gegen die Schaffung weiterer Polder. Vor allem die Bauern, die in Odernähe Äcker und Wiesen bewirtschaften, wollen davon nichts wissen. Weitere Einschränkungen könnten die Landwirte nicht hinnehmen, erklärt Rudolf Herold, Sprecher des Bauernverbandes.
„Ein Hochwasser der Qualität, die wir in diesem Sommer erlebt haben, läßt sich einfach nicht nur mit Deichsicherung bewältigen“, stellt dagegen Umweltminister Platzeck fest. Bei alldem geht es dem Minister aber nicht allein um den Hochwasserschutz, sondern auch um Glaubwürdigkeit gegenüber Polen. „Wir können nicht nur Forderungen stellen, sondern müssen unseren Teil zu einem vorbeugenden Hochwasserschutz beitragen, auch wenn auf Brandenburg der geringste Anteil des Flusses entfällt.“
912 Kilometer lang ist die Oder bis zur Ostseemündung. Der Fluß entspringt im Odergebirge, 25 Kilometer östlich von Olomouc (Olmütz) in Tschechien. Hier, im Oberlauf, gibt es auch noch Flußabschnitte, die frei sind von menschlichen Eingriffen. Aber auch dieser Teil ist von einem – vermeintlich – zukunftsträchtigen Projekt bedroht. Die Regierung in Prag sei interessiert, die Oder mit der Donau durch einen neuen Kanal zu verbinden, erzählt Ireneusz Chojnacki vom Aueninstitut.
Im Grunde müßte das Programm 2005 nun Gegenstand der Verhandlungen zwischen Polen, Tschechien und der Bundesrepublik werden. Doch in ihren offiziellen Erklärungen haben sich die Beteiligten bisher zurückgehalten. „Oberlieger und Unterlieger müssen beim vorbeugenden Hochwasserschutz auch über Staatsgrenzen hinweg eng zusammenarbeiten“, hatten schon Ende August Bundesbauminister Klaus Töpfer, Polens Innenminister Leszek Miller und der tschechische Umweltminister Jiři Skalický festgestellt. Doch auf mögliche Modifikationen oder gar Streichung des Programms 2005 gingen sie nicht ein.
Neben Naturschützern haben sich bisher nur einige Bonner Oppositionsabgeordnete getraut, das Oder-Ausbauprogramm Polens offen in Frage zu stellen. Nach den Erfahrungen mit dem Hochwasser müßte die weitere Schiffbarmachung der Oder kritisch überprüft werden, sagte der SPD-Abgeordnete Dietmar Schütz nach Gesprächen mit deutschen und polnischen Umweltexperten.
Ireneusz Chojnacki vom Aueninstitut sorgt sich angesichts der unzähligen Stellungnahmen und Ideen zum Hochwasserschutz vor allem um eins: daß unklare Kompetenzen am Ende kontraproduktiv wirken. Wichtig sei, so meint er, Sachverständige und Betroffene in den unmittelbaren Hochwassergebieten zu befragen. „Viele Menschen in der Oderregion Polens wären durchaus bereit umzuziehen – wenn ihnen die Neuansiedlung finanziert wird“, hat er bei seiner Reise erfahren.
Unabhängig von möglichen Umsiedlungen gibt es entlang der Oder in Polen derzeit aber ohnehin etliche unbesiedelte Flächen. „An allererster Stelle muß es darum gehen“, so Chojnacki, „vorhandene Überflutungsflächen dauerhaft vor Überbauung zu sichern.“ Im Rahmen seines Engagements für das Projekt „Grünes Band Oder–Neisse“ hat Chojnacki hier immerhin die Sicherung des Landschaftsschutzparks Warthe-/Odermündung erreicht: 18.432 Hektar, die als potentielle Überflutungsflächen auch dem Hochwasserschutz zugute kommen.
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