Sein Nationalismus bringt Šešelj diesmal den Sieg

■ Ob die Parolen von Großserbien bei den Neuwahlen noch ziehen, ist allerdings ungewiß

Belgrad (taz) – Fast alles ist nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Serbien noch in der Schwebe. Nur der Rechtsruck der Serben ist eine Tatsache, an der niemand vorbeikommt. Über 600.000 Wähler hat der Führer der radikal-nationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), Vojislav Šešelj, seit der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vor zwei Wochen hinzugewonnen. Mit 49,98 Prozent der Stimmen liegt er bisherigen Ergebnissen zufolge drei Prozent vor seinem sozialistischen Rivalen Zoran Lilić, der 46,99 Prozent erhielt und vom jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević unterstützt wird. Das offizielle Endergebnis wird für morgen erwartet. Wegen der geringen Wahlbeteiligung, die knapp unter den notwendigen fünfzig Prozent lag, muß die Wahl in zwei Monaten wiederholt werden.

Alle wichtigen serbischen Parteien sind – oder waren – mehr oder weniger nationalistisch bestimmt. Nun folgten viele ihrer Wähler dem Ruf Šešeljs. Selbst die Anhänger des monarchistischen Wirrkopfs Vuk Drašković schlossen sich nur teilweise seinem Aufruf an, den zweiten Wahlgang zu boykottieren. Andere schenkten ihre Stimmen Šešelj, weil sie gegen die Milošević-Sozialisten sind. Beide Parteien, die SRS und die Erneuerungsbewegung von Drašković, verfügen zudem über eine ähnliche Struktur: die Anhänger scharen sich um einen als charismatisch empfundenen Chef, der verspricht, Serbien in eine bessere Zukunft zu führen.

Doch auch unter den verarmten Arbeitern und Rentnern, den traditionellen Wählern der Sozialisten, wird die Popularität Šešeljs immer größer. Hier zogen seine Versprechen nach höheren Löhnen, besseren Renten und neuen Arbeitsplätzen sowie seine Ankündigung, binnen vier Monaten Ordnung und Disziplin im korrupten, wirtschaftlich ruinierten Serbien zu schaffen.

Šešeljs radikaler Nationalismus und seine Parolen von einem Großserbien, dem er wieder den alten Ruhm verleihen will, köderte aber auch diejenigen, die nach den verlorenen Kriegen in Kroatien und Bosnien verunsichert sind. Šešelj ist ein entschiedener Gegner des Daytoner Friedensabkommens für Bosnien. Er lehnt eine Versöhnung mit Kroatien ebenso ab wie eine Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher und eine Einigung mit den Kosovo-Albanern im Süden des Landes, die mehr Eigenständigkeit anstreben.

Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß Milošević aus der Wahlniederlage seiner Gefolgsleute wieder einmal einen Vorteil für sich schmiedet. Tatsächlich werden bei den bevorstehenden Neuwahlen viele Bürger, die diesmal nicht ihre Stimmen abgegeben haben, aus Angst vor dem vollkommen unberechenbaren Šešelj an die Urnen gehen, und sei es, um einen Milošević-Sozialisten zu wählen. Die Position Miloševićs als einziger solider serbischer Ansprechpartner auf internationaler Ebene ist sicher gestärkt.

Der US-Gesandte für das frühere Jugoslawien, Robert Gelbard, hat bei einem Besuch in Belgrad bereits in dieses Horn gestoßen. Šešelj sei ein Faschist, sagte Gelbard, er glaube nicht, daß die USA mit ihm zusammenarbeiten würden. Andrej Ivanji