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Die Göttin im Wohnzimmer

■ Die Singer/Songwriterin Rickie Lee Jones berichtet neuerdings auch zu elektronischen Spielereien von ihrer ziemlich unheimlichen Nachbarschaft

Damals hat mich niemand gefragt, heute muß es gesagt werden: Das Konzert von Rickie Lee Jones 1992 in der Musikhalle war schlichtweg das schönste des Jahres. Nun gehört die Musikhalle generell nicht gerade zu den besten Adressen für Popkonzerte, aber den Auftritt von Rickie Lee Jones als Konzert zu betiteln wäre schließlich genau so irreführend wie der Titel ihrer damals aktuellen CD Pop Pop, die weder mit Pop noch mit Doppelpop zu tun hatte. Der traurigste Wohnzimmerjazz der Welt war darauf, und dieses Wohnzimmer brachte die amerikanische Sängerin/Songwriterin mit einer alten Lampe, einem großen, leeren Bilderrahmen und einer Handvoll exzellenter Musiker auf die Bühne.

Wo es zu leuchten begann. Das klingt jetzt kitschig, aber man könnte noch viel kitschigere Dinge schreiben. Im Grunde war das traurigste Wohnzimmer der Welt eine kleine Kathedrale, und Rickie war Gott und wir ihre Jünger. Als die 38jährige zu später Stunde anhob, ihren ersten Hit „Chuck E's in love“zu singen, dabei an ihrem von Alkohol und einer Reihe schlechter Jahre gekennzeichneten Körper herunterblickte und meinte, eigentlich sei sie wohl nicht mehr „in shape“für solche Eskapaden, rief jemand laut und deutlich: „No, you're beautiful!“, und eine Handvoll Menschen erhob sich von ihren Stühlen, als feierte sie die Auferstehung einer an den Teufel Drogen verlorengeglaubte Seele. Diese Seele war natürlich eine Stimme.

Rickie Lee Jones wurde 1954 in Chicago geboren. Zwanzig Jahre später ging sie nach Los Angeles, wo sie die beliebte Von-der-Kellnerin-zum-Popstar-Karriere begann. 1978 sang sie zum ersten mal ein Duett auf Platte, nämlich mit Tom Waits auf dessen Album Blue Valentine. Ein Jahr später legte sie ihr eigenes Debut vor und wurde umgehend mit dem Grammy als „Best New Artist“ausgezeichnet. Die LP, auf deren Cover sich die Künstlerin derart lustvoll eine Zigarette anzündet, daß sie heute in den USA vermutlich auf dem Index steht, bewies eindrücklich, daß Songwriterinnen sich nicht über lange Haare und eine Gitarre definieren müssen.

Rickie Lee Jones war von Cool Jazz und Beat Poetry inspiriert und schaffte es dank ihrer sehr eigenen, ebenso erotischen wie spöttischen Stimme, die Mischung kurzfristig sogar chart-kompatibel zu machen. Zwei Jahre später folgte Pirates, etwas baß-lastiger und funkier, dann verschwand sie trotz zweier weiterer Alben aus den internationalen Ohren. Bis die Lady sich mit Pop Pop, einer reinen Jazz-Cover-Platte im Jahr 1991 unvermittelt und grandios zurückmeldete.

Ihr neues Album Ghostyhead geht nun in eine komplett andere Richtung. Mit Rick Boston von Low Pop Suicide spielte Jones zehn Songs ein, die sich durch elektronische Spielereien auszeichnen. Das Spiel geht nicht immer auf, klingt aber an keiner Stelle wie zu spätes Aufspringen auf den abgefahrenen Rap- und Sample-Zug.

Ihr Gesang wechselt wie immer virtuos zwischen Erzählung und Melodieläufen, was sie selbst etwas poetisch „Malerei mit Klängen“nennt. Realpoetischer sind die Texte. „Their sunny faces hit you like a bus“, heißt es in „Little Yellow Town“– wie sie überhaupt einiges von „Road Kills“und US-amerikanischen neighbourhoods als „Scary Chinese Movies“berichtet. Das Grünspan könnte dabei zum unheimlichsten Wohnzimmer der Stadt werden.

Christiane Kühl

Fr, 10. Oktober, 21 Uhr, Grünspan

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