: Kunstreise-Reisekunst
■ Reaktion komplex: Ausstellung von KunsthochschülerInnen am Hauptbahnhof
Seit zwei Wochen steht sie eilig vorbeihastenden Reisenden am Hinterausgang des Bahnhofs im Wege: Die Container-Ausstellung einer Arbeitsgruppe für Bildhauerei. Bis in den Bahnhof hinein und auf das Dach der Stadthalle reichen die Installationen der zwölf beteiligten KünstlerInnen um den Gastprofessor Yuji Takeoka. Zu sehen sind dabei kryptische Neon-Botschaften, aufblasbare Reisekleider, Flaschenflieger, Vertreterkoffer und reisefertige Fetischfiguren. Die ungewöhnliche Präsentation wurde gesponsort von der Deutschen Bahn und einer Containerfirma.
Im Gespräch schildern Uli Böhmelmann, Amir Omerovic und Jörg Bloem ihre Erfahrungen mit dem Publikum:
taz: Wieso präsentiert ihr eure Kunst ausgerechnet hinter dem Bahnhof?
Uli: Weil Reisen das Thema war, bzw. tragbare Skulpturen, und viele Sachen unterwegs entstanden sind, sind wir auf diesen Ort gekommen.
Jörg: Es geht auch darum, mal Leuten etwas zu zeigen, die nie in ein Museum gehen würden. Außerdem ist der Willy-Brandt-Platz hier normal ein ziemlich toter Ort. Die Idee war, die Leute mal zum Verweilen anzuhalten.
Was ist das Besondere an dieser Art Öffentlichkeit?
Uli: Es gibt viel mehr Reaktionen, als wenn's in einer Galerie wäre. Bei manchen Leuten denkt man, die sind gar nicht interessiert. Und genau die machen sich ganz viele Gedanken. Und dann kommen welche, die tun erst so, als wüßten sie viel über Kunst, wo sich rausstellt, daß sie besonders engstirnig sind.
Amir: Am Wochenende kommen viele junge Leute vorbei, wegen des Flohmarkts. In der Woche sind es meistens Geschäftsleute, die keine Zeit haben. Vor allem die älteren Leute trauen sich zu fragen. Jüngere lächeln eher mal, um ein Zeichen zu geben, daß sie was verstanden haben, um nicht blöde dazustehen.
Erklärt ihr denn ständig, was ihr macht?
Amir: Das ist verschieden. Wir lassen die Leute eigentlich selber drauf kommen, worum es hier geht. Da muß dann nicht unbedingt in die Richtung gehen, wo man sie selbst hinhaben wollte, ist aber in Ordnung. Man versucht zu erklären, daß es das ist, was man selbst sehen kann oder will.
Uli: Es gibt natürlich auch unqualifizierte Äußerungen wie: „Das soll Kunst sein?“Einer hat mal gemeint – und das fand ich lustig – das sei ja voll die Anti-Werbung für die Bahn, wir hätten viel zuwenig Platz in den Containern. Aber Leute, die sonst so schimpfen, sind meistens diejenigen, die nur außen vorbeigehen und gar nicht richtig hingucken.
Amir: Es gibt auch Kommentare wie: „Das ist doch Verarschung!“Immer noch ist die Mehrheit der Menschen hier in Deutschland der Auffassung, daß das hier keine Kunst sei. Ob man nun so einen Käse dahin stellt, ein Video zeigt oder die Flaschen...
Woher kommt eurer Meinung nach solches Unverständnis?
Uli: Die sehen uns als Bildhauerklasse von der Hochschule, sehen aber keine figürlichen Arbeiten. Da muß man dann einiges erklären, was Kunst heute sein kann. Wir haben neue Gastprofessoren wie Yuji Takeoka, die haben andere Ideen von Rauminstallationen, Video- und Klangexperimenten...
Was war für euch die schönste Reaktion?
Amir: Als mal ein Schwarzer durch das Teleskop den Afrika-Spiegel auf der Stadthalle gesehen hat. Er hat sich einfach umgedreht und über's ganze Gesicht gelacht...
Jörg: Richtig glücklich, bis weit in den Bahnhof hinein!
Fragen: Helene Hecke
Die Ausstellung ist noch bis zum 12.10. zu sehen.
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