Argentinischer Militär in Madrid festgenommen

■ Der geständige Offizier beteiligte sich am Verschwindenlassen von Oppositionellen

Buenos Aires (taz) – Zusammen mit seiner Anwältin und über hundert Seiten Papier über die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur bestieg Adolfo Francisco Scilingo am Montag ein Flugzeug in Richtung Madrid. Der ehemalige Korvettenkapitän wolle dort „die ganze Wahrheit sagen“. Kaum in Madrid angekommen, wurde er festgenommen. Der Grund: Schon vor zwei Jahren hatte er in einem Zeitungsinterview zugegeben, dabeigewesen zu sein, als Regimegegner während der Militärdiktatur (1976–1983) lebendig ins Meer oder in den Rio de la Plata geworfen wurden. Zwei Jahre lang startete von dem berüchtigten Folterzentrum, der Mechanikerschule der Marine (ESMA), jeden Mittwoch ein Flugzeug, aus dem 15 bis 20 Menschen herausgeworfen wurden. An Bord der Maschine, so schilderte Scilingo, zogen Soldaten „den Ohnmächtigen die Kleider aus, und wenn der Kommandant den Befehl gab, wurde die Luke geöffnet und einer nach dem anderen hinausgeworfen“.

Als Scilingo dem Journalisten Horazio Verbitsky die Verbrechen schilderte, brach er damitdas Schweigen der Militärs. Eine Welle der Entrüstung schlug über das Land. Seither gilt Scilingo bei seinen ehemaligen Kameraden als Veräter. Präsident Carlos Menem stellte sich damals hinter die Militärs, und es rutschte ihm das Wort vom unglaubwürdigen Kriminellen heraus. Erst vor wenigen Wochen wurde Scilingo überfallen; ihm wurden die Anfangsbuchstaben von kritischen Journalisten ins Gesicht geritzt. Darunter auch ein V für Verbitzky.

Dionisia López Amado, von der Angehörigengruppe Verschwundener Spanier in Argentinien (FDE), meint dann auch, daß Scilingo „gefangen in Spanien sicherer ist als frei in Buenos Aires.“ In Argentinien, so weiß López „gibt viele, die nicht wollen, daß er auspackt.“ Aber genau das hat er vor. In seinem hundert Seiten dicken Bericht sind 158 weitere Namen von Militärs enthalten, die ebenfalls an den Verbrechen der Diktatur beteiligt waren.

„Ich bitte Gott, daß die Verfahren in Spanien weitergehen, dann in Argentinien herrscht die Straflosgigkeit“, so López, deren Sohn und Schwiegertochter im Mai 1976 verschwunden sind. Während in Argentinien die Militärherrscher von einst durch ein Amnestiegesetzt geschützt sind, ermittelt die spanische Justiz gegen in den Fällen von 600 „verschwudenen“ Spaniern gegen sie. Für die Angehörigen der Opfer ist dies die einzige Hoffnung, daß die Verantwortlichen für die Morde an ihren Verwandten sühnen werden. Gegen die chilenischen Militärs läuft ein ähnliches Verfahren.

In Frankreich wurde der Fregattenkapitän Alfredo Astiz in Abwesenheit zu lebenslanger Haft wegen des Mordes an zwei französischen Nonnen verurteilt. Seit dem Urteilsspruch ist Astiz per internationalem Haftbefehl gesucht und kann somit Argentinien nicht verlassen. Noch im Oktober wollen Angehörige von deutschen Verschwundenen in die Bundesrepublik reisen, um dort ähnliche Verfahren anzuleiern. „Die Fall Scilingo ist sehr wichtig, weil die Verfahren in Spanien hier zu Lande bisher eher belächelt wurden“, zeigt sich die Vorsitzende der Angehörige chilenischer Verschwundener (AFDD), Mireya Garcia, zufrieden.

Die Praktik des Verschwindenlassens von Regimegegnern wurde von der argentinischen Militärdiktatur erfunden und fand auf dem Kontinent viele Nachahmer. In Argentinien „verschwanden“ während der Diktatur etwa 30.000 Menschen. Vor dem Geständnis von Scilingo übernahmen die Militärs niemals die Verantwortung für ihre Verbrechen. In einem Brief an den Juntageneral Jorge Videla forderte Scilingo diesen auf eine Liste der Toten“ zu veröffentlichen, eine Antwort hat er freilich nie erhalten. Ingo Malcher