: Dieser böse Krach
Statements gegen die Massenware der Unterhaltungsindustrie: Staalplaat aus Amsterdam zu Gast im Prater ■ Von Ulrich Gutmair
Staalplaat Records sind ein alteingesessenes Unternehmen. Seit 15 Jahren produziert die niederländische Plattenfirma Tonträger auf dem Sektor Industrial und Plunderphonics, zuerst in traditioneller Punkmanier auf Kassetten, dann auf Platten und CDs. Nebenbei werden Bücher herausgegeben und die Produkte befreundeter Labels vertrieben.
Und weil die Amsterdamer eine lange Tradition auf dem Gebiet des Kunsthandwerks haben, also noch jede Türklinke irgendwie nett designt ist, haben auch die Staalplaat-Produkte immer schon mit ausgefallenen Verpackungslösungen ihr Statement gegen die Massenware der Unterhaltungsindustrien abgegeben.
In den nächsten acht Tagen werden Staalplaat das Zentrum ihrer Aktivitäten in den Prater verlegen, dort einen temporären Plattenladen eröffnen und diverse Bands und Projekte einfliegen lassen.
Der Staalplaat Cocktail setzt auf die Konfrontation der Positionen, jeden Abend werden verschiedene Projekte aufeinandertreffen. Zum Grand Opening heute abend sollen die Meisterprankster von KLF vorbeischauen, die ein Händchen für spektakuläre Aktionen haben. KLF werden dann einer ganz speziellen Performance beiwohnen: Ein Kapelle der Heilsarmee wird ihren Chartbreaker „What Time Is Love?“ zum besten geben.
Mit im Programm sind auch Public Works/Tape beatles, die sich auf Platz zwei oder drei der Plunderphonics-Weltrangliste befinden. Sie treffen morgen auf Barbed, deren Track „A Youth Sky“ auf der parallel veröffentlichten Staalplaat Cocktail Mini-CD schwer nach Rummelplatz klingt. Man stelle sich Autoscooter und irgendwelche anderen Spaßgeräte vor, in denen sich junge Menschen durch die Luft schleudern lassen.
Auch wenn das Staalplaat-Umfeld fest in den Achtigern verwurzelt ist, scheint inzwischen eine ironische Distanz zum bösen Krach durch: Die isländischen Stillupsteypa sind auf dem Cocktail mit „Onvermijdelik Uitkomen“ vertreten. Man kann sich nicht ganz sicher sein, ob dieses „unvermeidliche Ergebnis“ nicht so manche Industrialkollegen auf die Schippe nimmt. Das Stück kippt aus einer Echokammer voller melancholisch-schöner Mundharmonika-sounds um in ein düsteres Brummen.
Überhaupt scheint sich parallel zum Niedergang der alten Industrien und angesichts der allgemeinen Auffassung, daß digital besser ist, eine neue Definition von Lärm durchzusetzen. Anstelle von Vertretern des üblichen metallischen Schabens featured der Cocktail u.a. Menschen wie Panasonics Mika Vainio und Peter Rehberg, die auf einer Flowchart wohl eher in der Nähe von Techno zu finden wären: Mika als Vertreter einer finnischen Philosophie des Rauschens und Peter als Abgesandter des österreichischen Mego-Labels, das ebenfalls in analog/digitalen Grauzonen operiert.
Trotzdem gibt es in alter Tradition natürlich auch Bands, die sich nach merkwürdigen neurologischen Krankheitsbildern benennen und Projekte, die das Copyright mit Füssen treten. Insgesamt faßt Jaap Blonks Cocktail-Beitrag die zu erwartenden klanglichen Ereignisse wohl schlüssig zusammen: „Bubble & Squeak“.
Bis zum 16. Oktober, Beginn jeweils 21 Uhr, Volksbühne im Prater, Kastanienallee 7–9.
Heute abend steigt eine große Eröffnungsparty mit Überraschungsprogramm.
Infos zum weiteren Verlauf des Gastspiels der Amsterdamer Projekte bei der Galerie O 2 unter Tel.: 4407136
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