Kurz vorm Zusammenbruch

■ Angst vor der Prüfung, Streß mit dem Prof, zuwenig Geld für die Miete - Die psychologischen Beratungen der Unis helfen da weiter. Seit den siebziger Jahren bieten sie ihren Service kostenlos

Tina ist völlig fertig: Tamagotchi tot, Bafög abgelaufen, die Eltern aus Süddeutschland quengeln wegen der Studiendauer und Bernd, ihr Freund, ist mit einer Frau aus der Bauchtanzgruppe durchgebrannt. Wenn bloß die Magisterarbeit nicht in drei Wochen fertig sein müßte!

Ihr ganzes Studium schon hatte Tina Probleme, ihre Gedanken zu Papier zu bringen. Wochenlang hatte sie recherchiert, aber dann, als sie alles zusammen hatte, kam die Angst vor dem leeren Blatt. Nichts ging mehr, Zeile um Zeile mußte sie sich rausquälen: „Das Ergebnis wollte ich am liebsten sofort vergessen.“

Menschen wie Tina sind gut beraten, rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, damit sich kleine Schwierigkeiten nicht zu großen Problemen aufblähen. Diese Hilfe bieten die psychologischen Studienberatungen der Berliner Universitäten.

Dort wird StudentInnen vor allem geholfen, den Anforderungen der Universität gerecht zu werden. An der Freien Universität (FU) findet das meist im Rahmen von Seminaren statt. Schreibkurse gibt es dort ebenso wie Rhetorikübungen und Seminare zur effektiveren Arbeitsorganisation. Tinas Befürchtung, von weißbekittelten Herren auf einem Behandlungsstuhl à la Clockwork- Orange geschnallt zu werden, ist unberechtigt.

Manche, die zur Beratung kommen, haben tiefergehende Probleme. Deshalb findet zuerst ein Einzelgespräch statt, um die richtige Beratung zu finden. Für längere therapeutische Maßnahmen ist eher die Beratungsstelle des Studentenwerks zuständig. Auch bei sozialen Problemen gibt es dort Hilfe. Zum Beispiel für alleinerziehende Mütter, die studieren.

Einen typischen Klienten psychologischer Dienste gibt es nicht. Zwei Gruppen seien allerdings häufig betroffen, sagen die Berater: StudentInnen stark verschulter Fächer wie Medizin und Studierende besonders wenig strukturierter Studiengänge wie Germanistik. Mediziner haben Streß, weil sie dauernd gefordert sind und ihnen die kleinste Fehlleistung Kopf und Kragen kosten kann, Germanisten irren oft und orientierungslos herum und müssen fast ohne vorherige Leistungskontrolle zur alles entscheidenden Prüfung.

Psychologische Studienberatung ist ein Spiegel der Zeit. Erst in den Siebzigern wurden solche Beratungsstellen in Berlin, später in der ganzen Bundesrepublik erstritten. Weil damals Probleme mit den Eltern eine große Rolle spielten, entstand die Idee einer Beratung, die Lebenshilfe gibt und ohne Krankenschein und ohne Bezahlung jedem Studierenden offensteht. Das ist heute noch so. Während aber damals Selbstbefreiung im Vordergrund stand, wollen heute viele StudenInnen psycho- soziale Kompetenzen erwerben, um sich fit für das Assessement- Center zu machen, sagt Hans- Werner Rückert, Psychoanalytiker und Leiter der Beratungsstelle der FU.

Besonders Jungingenieure melden sich für obskure Traningsseminare an. Bei ihnen scheint der strenge Rationalismus ihrer Disziplin Nachholbedürfnisse zu schaffen. GeisteswissenschaftlerInnen wie Tina geht soviel Karrieregeilheit ab. In ihrer Situation bleibt nur eins: Sie muß sich so schnell wie möglich einen Termin geben lassen, für die Prüfungshilfe. Leo Spors

*Humboldt-Universität: Psychologische Beratung im Referat Allgemeine Studienberatung, Tel.: 2093-2615

*Freie Universität: Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung, Tel.: 838-5242

*Studentenwerk: Psychologisch- therapeutische Beratung, Tel.:312-1047

*Technische Universität: Psychologische Beratung, Tel.: 3142-4875

*Hochschule des Künste: 3185-2204