: Auf dem Umweg an die Uni
■ Immer mehr abgelehnte Studienbewerber klagen oder manövrieren sich als Quereinsteiger in den gewünschten Fachbereich. Und die Chancen, sich erfolgreich zu wehren, sind nicht so schlecht
„Als ich die Ablehnung von der ZVS bekam, war ich empört. Das Grundgesetzt garantiert mir die freie Wahl des Berufs und der Ausbildungstätte. Wieso sollte da der Staat über Jahre meines Lebens bestimmen können und mir das Architekturstudium verweigern?“ Der 24jährige Sven klagte sich in das Studium an der TU Berlin.
Rund 130.000 Bewerber beteiligen sich jedes Jahr an der großen Lotterie der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS). Dazu kommen noch die, die sich bei den Hochschulen für Fächer mit internem NC bewerben. Etwa die Hälfte gewinnt dabei den gewünschten Studienplatz.
Doch umorientieren wollen sich viele nicht. Au-pair-Aufenthalte oder ein freiwilliges soziales/ökologisches Jahr sind kaum gern gesehene Lückenfüller. Hans-Werner Rückert von der FU-Studienberatung empfiehlt individuelle Lösungen: „Bei Medizinstudenten bietet sich doch ein Krankenpflegepraktikum an, das später im Studium vorgeschrieben ist. Oder man erwirbt im Ausland Sprachkenntnisse.“ Doch das Gefühl des Zeitverlustes bleibt.
Eine echte Alternative bietet eine Klage. Das räumt selbst das Bundesverfassungsgericht ein. Viele schreckt der juristische Weg erst einmal ab. „Aber man braucht nicht einmal einen Anwalt“, beruhigt Ulrike Gonzales, studentische Vertreterin des FU-Kuratoriums. „Und selbst, wenn man verliert, kostet das nur 50 bis 100 Mark. Man füllt beim Verwaltungsgericht ein Formular aus. Darin klagt man gegen die Uni, begründet, daß die ihre Kapazitäten nicht ausgeschöpft hat. Oft kann man im gleichen Semester noch einsteigen.“
Im Wintersemester 1995/96 lagen beim Berliner Verwaltungsgericht fast 3.200 Klagen für 86 Studiengänge. Am häufigsten waren dabei Verfahren gegen Humanmedizin, Psychologie, Jura (FU und HU), gegen die Architektur (TU und TFH), Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, (HdK) und Sozialpädagogik (FH). Bei kleineren Fächern lassen die Unis oft selbst die Käger zu, um einen Prozeß zu umgehen. Traditionell stehen die Chancen von Medizinern und Juristen besonders gut.
Doch eine positive Entscheidung des Gerichts bedeutet nicht immer sofort einen Studienplatz. „Wenn die FU pro Semester 30 bis 50 Mediziner zusätzlich zulassen muß, aber 150 geklagt haben, werden die Plätze verlost, erkärt Ulrike Gonzales. „Deswegen sollte man bei mehreren Unis klagen“.
Doch selbst eine Zusage von der ZVS garantiert nichts, wie das Beispiel von Caroline Stocker (23) zeigt. „Ich hatte eine Zusage für Pharmazie an der FU Berlin. Auf 143 Zusagen kamen aber nur 114 Laborplätze. Meine Klage wurde abgelehnt mit der Begründung, daß die Qualität der Lehre sonst nicht gesichert wäre. Zum Glück bin ich nachgerutscht.“
Wenn man bei diesen Pokerspielen kein Glück hatte, bleibt der Quereinstieg: „Man schreibt sich für ein verwandtes Fach ein, Philosophie statt Psychologie oder Lehramt Biologie statt Diplom Biologie“, so Gonzales. „Nach ein paar Semestern schreibt man sich um, das war's.“ Pech nur für die, die auf Bafög angewiesen sind: Dann ist eine Umschreibung nach mehreren Semestern fast unmöglich. Annette Gilbert
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