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Solidarprinzip untergraben

■ Die Gesundheitsreform führt schleichend eine Ideologie der Ungleichheit ein. An den geplanten Zuzahlungen und am Widerstand der Ärzte droht auch das Psychotherapeutengesetz zu scheitern

taz: Welche gesellschaftlichen Folgen hat das Reformpaket?

Monika Knoche: Zunächst einmal ist für alle erkenntlich: Eine zivilisatorische Grundbedingung, daß Krankheit nicht bestraft werden darf, ist aufgehoben worden. Denn all diese Gesetze zielen darauf ab, Krankheit höher zu belasten. Das bedeutet, daß man eine Ideologie der Ungleichheit schleichend einführt und die historisch wichtige Errungenschaft des Solidarprinzips unterläuft. Die andere Seite des Systembruchs liegt darin, daß die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgekündigt wird: In Zukunft wird eine Beitragssatzerhöhung der Kassen nur noch zu einem Drittel von den Arbeitgebern, aber zu zwei Dritteln von den Versicherten finanziert. Das ist der gradlinige Weg in die Privatisierung der Krankenversicherung. Dabei hat es nie eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen gegeben, wie Gesundheitsminister Seehofer behauptet, sondern vielmehr ein gravierendes und zunehmendes Einnahmeproblem durch die Massenarbeitslosigkeit.

Ärzte verdienen um so mehr, je mehr sie verschreiben. Daher haben sie kaum Interesse, daß ihre Kunden gesund sind. Wie könnte man das Gesundheitswesen stärker am Patienten orientieren?

So hervorragend unserer Solidarsystem ist – es hat einen Konstruktionsfehler: Es rechnet sich für die, die Leistungen erbringen, nur über Krankheit, Gesundheit wird nicht honoriert. Dadurch nun, daß auch noch die Gesundheitsförderung und -prävention gestrichen wurde, wird die Eigenkompetenz der Menschen geschwächt, und die Leistungen der Kassen werden auf rein kurative Maßnahmen zurückgestutzt. Von der Philosophie her, die dahintersteht, ist das ungeheuer reaktionär: Ein Gesundheitsbegriff per Gesetz zu etablieren, bei dem die Solidargemeinschaft erst im Falle manifester Erkrankungen in Anspruch genommen werden darf. Das paßt allerdings zusammen mit ideologisch stark untermauerten Aussagen der letzten Zeit, die Kassen sollten nur noch die großen Gesundheitsrisiken absichern. Das bedeutet, daß die Leistungen sukzessive reduziert werden auf somatische, also rein körperliche Leiden. Das ganze Spektrum der psychosomatischen und auch präventiven Leistungen verliert zunehmend seinen unverzichtbaren Stellenwert.

Heftig debattiert wird derzeit der Entwurf eines Psychotherapeutengesetzes, das seit 25 Jahren gefordert wird. Warum ist ein solches Gesetz notwendig?

Solange die Psychotherapie nicht als allgemeine Leistung der Kassen festgeschrieben ist und die Patienten kein Direktzugangsrecht zum Psychologen haben, ist die Versorgung nicht gesichert. Die niedergelassenen Ärzte, die Somatiker, haben bislang allein die Definitionsmacht darüber, wer eine psychotherapeutische Behandlung bekommt. Die Folge ist, daß wir eine eklatante Unterversorgung haben.

Was halten sie von dem Gesetzentwurf der Bundesregierung?

Ganz schlimm ist, daß die Zuzahlung für den, der sich einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen möchte, auf 25 Prozent festgesetzt werden soll! Damit würde erstmalig ein Eintrittsgeld für den Arztbesuch verlangt werden. Wer eine psychische Krankheit hat, wird in einem unglaublichen Maße bestraft – bei einer analytischen Psychotherapie zum Beispiel würde die Zuzahlung im Jahr etwa 4.500 Mark betragen. Ein Großteil der Bedürftigen wird eine Therapie dann nicht mehr in Anspruch nehmen – nach Untersuchungen der Vertragstherapeuten hätten rund 50 Prozent ihrer Klienten eine Therapie im Falle von Zuzahlungen gar nicht erst angefangen!

Ein Psychotherapeutengesetz ist überfällig. Warum droht es erneut zu scheitern?

Der Gesetzgeber hat den Kassenärztlichen Vereinigungen in dieser Frage eine zu hohe Verhandlungsposition zugebilligt. Sie vertreten aber allein die gruppenegoistischen Interessen der Ärzte – nicht der Psychologen – und blockieren die Gesetzgebung. Durch eine eigene Kammervertretung der Psychologen, wie die Bündnisgrünen vorgeschlagen haben, ließe sich die Problematik lösen. Dann könnten die Psychologen ganz unabhängig von den Ärzten Verhandlungen mit den Krankenkassen führen. Im Interesse der psychisch Kranken ist es absolut notwendig, daß das Gesetz in dieser Legislaturperiode zum Abschluß gebracht wird. Unsere Kammer-Regelung würde über die berufsrechtlichen und abrechnungstechnischen Fragen hinaus auch die psychotherapeutische Versorgung sichern und ein hohes Maß an Qualität der Therapie garantieren. Interview: Ole Schulz

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