: "Herrgottnochmal!"
■ Walter Kempowskis "Bloomsday" ist das Protokoll eines ganzen Fernsehtages. Die taz sprach mit ihm darüber - am Telefon und zappend
taz: Guten Abend, Herr Kempowski!
Walter Kempowski: Na, mein Herr, Sie wollen heute abend einen großen technischen Versuch starten, ja?
Nun, wir unterhalten uns, sehen dabei fern, gucken, wie sich das Programm einmischt oder ob wir es notschlachten müssen, und das alles wird dann mitgeschnitten; also Versuch: ja, großtechnisch: eher nicht.
Gut. Ich sitze genau vor dem Fernseher.
Wie gucken Sie denn im normalen Leben fern – geplant oder aufs Geratewohl zappend?
Ich sehe beim Frühstück die Rundfunkzeitung durch, und da finde ich dann Sendungen, die ich gerne sehen möchte oder nicht – heute zum Beispiel nichts. Im Tagesverlauf flippe ich da dann schon mal durch, einfach so, um auf andere Gedanken zu kommen.
Welche Fernsehzeitung frühstücken Sie denn?
(ruft durchs Wohnzimmer) Welche haben wir, Hildegard? Die Hörzu, ja. Weil die einen guten Rundfunkteil hat, sagt meine Frau. Und das stimmt auch.
Und darin markieren Sie dann täglich ihre Favoriten?
Ja, am Sonntag kam eine ganze Stunde über Glenn Gould, die Kunst der Fuge; wann kriegt man so was schon geboten, das ist doch ausgezeichnet! So etwas gucke ich mir gern an.
Für Ihr Fernsehprotokoll „Bloomsday“ haben Sie sich äußerst diszipliniert – bis nahe zur Selbstaufgabe, muß man vermuten – und sich 37 Kanäle im ständigen Durchschalten zugemutet.
Normalerweise habe ich nur 20 oder 22 zur Verfügung. Das ist, glaube ich, normal.
Ich habe nur vier. Anormal?
Dann haben Sie also kein Kabel. Seien Sie glücklich, wenn Sie damit auskommen. Aber arte zum Beispiel entgeht Ihnen dann. Oder denken Sie an die tägliche Kultursendung auf 3sat, da wird man sehr gut informiert – fast besser als durch Zeitungen.
In der ARD läuft gerade die „Tagesschau“.
Erstes Programm, Moment, ja, da ist die hübsche, wie heißt sie noch?
Dagmar Berghoff.
Ja, mit kurzem Haar und gepuderter Nase.
Wie wäre es mal mit RTL?
Von mir aus. Da streckt gerade einer die Zunge heraus. Huch!, wenn im Fernsehen das Telefon klingelt, denke ich immer, es klingelt bei mir. Jetzt kucke ich wieder ins erste Programm, da ist diese neue Wetterkarte, die ärgert mich, auf der findet man überhaupt nichts mehr. Im ZDF wird gerade so ein Schlipsmensch verhört von einem Unrasierten mit modischem Hemd, der ist wahrscheinlich der Gute.
Läuft der Fernseher bei Ihnen auch nebenbei?
Nein, wenn nichts Gescheites läuft, stelle ich ihn aus.
Am „Bloomsday“ mußten sie dranbleiben und haben etwa im 15-Sekunden-Takt weitergeschaltet. Hat Sie da nichts länger fesseln können, oder haben Sie sich das verboten?
Ungefähr dreimal bin ich länger drangeblieben: bei Heiner Müller, bei Biolek und Kohl und einmal, als es um Busen ging. Das war lustig, wie die Frauen sich darüber unterhielten, wie man den Busen größer macht. Aber das war die Ausnahme, mir lag explizit an einer Zufallsstatistik. Ich wollte einfach mal dokumentieren, was das Fernsehen so innerhalb von 19 Stunden verzapft.
Dabei ließen Sie die Menschen ausreden. Da haben Sie höflich gezappt.
Man läßt sie schon ausreden, aber dann in der nächsten Sendung kommt man natürlich mitten in irgendeinen Halbsatz hinein, und da habe ich dann ein bißchen korrigiert, indem ich begonnene Halbsätze herausgenommen habe, damit es verständlich wird.
Trotzdem lesen sich Ihre unkommentierten Aufzeichnungen wie das Protokoll eines Hofgangs im Irrenhaus.
Wenn man dem Strand von Warnemünde einen Löffel voll Sandkörner entnimmt, dann ist das eine „stetige Menge“ – ziemlich langweilig. Wenn Sie aber die Sandkörner einzeln mit dem Vergrößerungsglas betrachten, bemerken Sie große Unterschiede.
Das grobe Sandkorn „Geh aufs Ganze“ haben Sie mal sehr gelobt – war das zynisch?
Nein, das mochte ich wirklich ganz gerne, das war so direkt. Normalerweise kriegen die Menschen bei solchen Sendungen Punkte oder so, aber wenn der da die zerknüllten Geldscheine aus der Tasche holte und den Kandidaten unter die Nase rieb, das fand ich irgendwie gut.
Absurderweise wird ja im Fernsehen – trotz visueller Darstellung – viel mehr gequatscht als im Radio.
Ja ja, ununterbrochen wird da gesprochen. 365 Tage im Jahr auf 78 Kanälen, ist das nicht ungeheuerlich?
Ist es. Wie haben Ihnen denn eigentlich dabei die Bilder gefallen?
Die kann man ja nun leider nicht abtippen. Wir hatten vorher überlegt, ein Video-Printgerät zu besorgen, aber dann schien uns die konsequente Übersetzung in das andere Medium sinnvoller.
Ist dieser Wechsel fair, oder ist das Fernsehen nicht eigentlich ganz bewußt nur Fernsehen, Unterhaltung zumeist, und so auch angelegt – müssen sich Kohärenz und Sinngehalt also messen lassen am Medium Buch?
Das wirklich repräsentative Protokoll von 19 Stunden – und das war ja die Intention – zeigt, daß dort in der Tat überwiegend Dünnsinn geredet wird, aber dafür kann ich ja nichts, die haben das ja wirklich alles gesendet!
Aber hat nicht Ihre Vorgehensweise das Ergebnis a priori festgelegt – oder anders gefragt: Hat Sie die nun vorliegende Gaga-Collage überrascht?
Ich wahr ehrlich gesagt schon geplättet hinterher. So schlimm hatte ich es mir einfach nicht vorgestellt.
Macht das Fernsehen krank, oder machen Kranke das Fernsehen?
Das Fernsehen an sich ist ja wertfrei. Wie ein Auto enthält es verschiedene Potentiale: Idiotie, aber auch Vernunft. Sinnvoll genutzt, ist doch das Auto ein höchst nützlicher Gegenstand. Andererseits ruinieren manche Leute mit ihren Autos sich selbst und die Umwelt, denkt man etwa an Formel-1-Rennen – da kichert dann Idiotie heraus. Genau wie beim Fernsehen.
Der „Bloomsday“ war Ihnen wohl tatsächlich ein Experiment – Sie schalten gar nicht so rasant beziehungsweise eigentlich gar nicht um.
Überhaupt nicht. Gerade ist da wieder diese Frau mit den roten Lippen.
Immer noch das ZDF, nun schalten Sie doch mal um!
Na gut, auf RTL ist diese großäugige Kommissarin, die mag ich auch nicht, sie spielt einfach nicht gut, da würde ich also weiterschalten. Nun kommt der Bayerische Rundfunk, da wird ein Vortrag über Blutproben oder so gehalten, das ist ekelerregend! Weiter: Ein Kapitän im NDR, jetzt spricht er, hören Sie mal, der hat wohl sein Schiff restauriert, auch uninteressant, irgendwelche Kurbelwellen sieht man da.
Viele Menschen schalten einfach so lange weiter, bis etwas erträglich genug ist. Sie dagegen können ja lange suchen mit Ihren Ansprüchen.
In der Not frißt der Teufel Fliegen. Also, auf MDR heult eine Frau, ganz uninteressant, durch den SDR läuft eine Tankstellenkassiererin mit einem Pferd, im WDR lecken sich gerade Vampire gegenseitig das Maul – vielleicht würde ich mir das eine Weile ansehen, das ist doch ganz possierlich.
Ihre Arbeitsweise haben Sie mal als ordnungschaffendes Sichten bezeichnet. Ist „Bloomsday“ auch so ein Versuch, zu reduzieren, freizulegen?
Versuch ist schon richtig, aber – ach, jetzt bin ich zu abgelenkt durch dieses unsägliche Fernsehen.
Dann schalten Sie den Apparat doch aus!
Ich sollte ihn doch anhaben, haben Sie gesagt. Herrgottnochmal, da kommt man ja ganz durcheinander! Also, worüber wollten Sie nun noch sprechen?
Romanschreiben als Ordnungschaffen, Mülltrennung vielleicht, Sie und die Zettelkästen. Die Verblödung, die einen da umzingelt, daß Sie die reduziert haben auf das gesprochene Wort und so den Ausblick freigelegt haben auf die Struktur ...
Ja, Struktur stimmt. Eine gewisse Ordnung – nicht pedantisch, wohlgemerkt! Die Struktur des Angebots mal festhalten.
Noch mal die Frau mit den Lippen im ZDF, in der ARD Manfred Krug. Was sehen Sie gerade?
Ich hatte den Apparat jetzt abgeschaltet. Soll ich den denn nun wieder anschalten, Hildegard? Sie sind gründlich, sagt meine Frau. Also, in der ARD ein Mensch mit Brille, der in „Tadellöser & Wolff“ mitgespielt hat, dessen Namen ich aber vergessen habe, der junge Mann da, der jetzt von hinten zu sehen ist. ZDF: die unerträgliche Frau Schreinemakers, die küssen sich jetzt, nein, das ist sie ja gar nicht... (so weiter) Interview:
Benjamin v. Stuckrad-Barre
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