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„Nur um das Ansehen der Stadt besorgt“

Saalfeld gilt als Hochburg der Neonazis in Thüringen. Eine Demonstration von AntifaschistInnen durfte nicht stattfinden. Die Stadt sollte nicht zum „Aufmarschgebiet linker und rechter Chaoten“ werden  ■ Aus Saalfeld Dieter Neudorf

Mit einem Großeinsatz verhinderte die Polizei am Samstag eine verbotene antifaschistische Demonstration in der thüringischen Kreisstadt Saalfeld. Knapp 500 Personen wurden festgenommen.

Ursprünglich hatte in Saalfeld ein Bündnis aus Gewerkschaften, unabhängigen Antifa-Gruppen sowie Teilen von PDS und Bündnisgrünen gegen die Verharmlosung rechter Gewalt in der Stadt demonstrieren wollen. Doch nachdem die rechtsextreme NPD und ihre Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten zwei Gegenaktionen angekündigt hatten, verbot das Landratsamt alle Veranstaltungen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und wurde darin von den Gerichten bestätigt.

Der Gewerkschafter und Anmelder der antifaschistischen Demonstration, Angelo Lucifero, richtete gestern scharfe Kritik an die Stadt Saalfeld und den thüringischen Innenminister Richard Dewes (SPD). Dewes hatte auch alle Ersatzveranstaltungen verbieten lassen, um zu verhindern, daß Thüringen „Aufmarschgebiet linker und rechter Chaoten aus dem gesamten Bundesgebiet“ werde. Damit habe sich der Innenminister von der Hysterie der Stadt Saalfeld anstecken lassen, die im Vorfeld der antifaschistischen Demonstration „ein Klima der Angst produziert“ hätte und „nur um ihr Ansehen“ besorgt sei. Gegen rechte Gewalt und Strukturen hingegen werde in dem Landkreis nichts unternommen, sondern diese nur verharmlost. Die spontanen, friedlich verlaufenen Demonstrationen am Samstag hätten bewiesen, daß auch in Saalfeld das „Szenario, das Dewes und die Stadt Saalfeld prophezeit haben“ nicht stattgefunden hätte. Lucifero und andere Gewerkschafter wollen nun erneut vor das Oberverwaltungsgericht Weimar ziehen, um im nachhinein die Unrechtmäßigkeit des Demoverbotes bestätigt zu bekommen.

In Heilsberg bei Saalfeld durchsuchte die Polizei am Samstag morgen eine Gaststätte, die als Treffpunkt der rechten Szene gilt. Die Beamten nahmen 68 Rechte fest und stellten unzählige Waffen sicher, darunter 60 Knüppel und Hiebwaffen, Feuerwerkskörper, Schreckschußwaffen und Äxte. Außerdem wurden Gasmasken und Wehrmachtshelme sichergestellt. Die Gaststätte war von dem „bekannten Rudolstädter Rechten“ Mario Brehme angemietet worden, so Polizeisprecher Stahn.

Saalfeld gilt seit längerem als rechte Hochburg in Thüringen. Die in dem Landkreis aktiven Neonazi-Kader haben Verbindungen in die ganze Bundesrepublik und werden insbesondere von dem Berliner Neonazi-Verein „Die Nationalen e.V.“ unterstützt. Vor allem der Saalfelder Stadtteil Gorndorf, eine große Plattenbausiedlung, kann von Antifaschisten und ausländischen Menschen kaum noch betreten werden, wie einige Jugendliche berichten, die dem Treiben der Polizei zuschauen. „Wir hätten es gut gefunden, wenn die Demo gewesen wäre“, sagt der etwa 17jährige Thomas, der aus seinem Fenster die Straße beobachtet. Unter dem Fenster ist in die Wand geritzt „Thomas du Assi“. Darunter ein Hakenkreuz und SS- Runen.

In Gorndorf stehen zu dieser Zeit etwa 40 Rechte vor einer Kneipe und trinken die ersten Biere. Das seit Juli bestehende Jugendzentrum einige hundert Meter weiter ist heute geschlossen. Obwohl das Zentrum für alle Jugendlichen offensteht, seien hier 99 Prozent der Besucher Rechte, so Gewerkschafter Lucifero. „Auch Neonazi-Kader wie Tino Brandt sind oft dort.“ Den Sozialarbeitern wirft Lucifero Naivität vor: „Während die glauben, mit etwas Kulturarbeit das Problem in den Griff zu bekommen, werden Jugendliche von den Neonazis angeworben.“

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