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Der ewige Traum vom guten Leben

Frauenliteratur oder: Was Agatha Christie, Emily Brontä, Virginia Woolf, Victoria Holt, Hera Lind und Trotzköpfchen gemeinsam haben  ■ Von Georg Seeßlen

In meiner Buchhandlung gibt es ein Regal, das heißt lapidar „Frau“. Es sind Romane, die von Frauen und ihren Problemen handeln und von Frauen gelesen werden sollen. Romane von Victoria Holz, bei der immer ein schmucker Mann einer Frau die Schulter küßt und ihr in den Ausschnitt guckt, finden sich dort nicht. Bei Virginia Woolf wußte man nicht, ob sie zu „Frau“ gehört oder zu „Weltliteratur“ – ihre Texte finden sich in beiden Ressorts.

Literatur von und für Frauen zum Genre zu bündeln ist schwierig. Frauen sind natürlich genausowenig ein Zielpublikum wie Männer, wohl aber bilden Frauen in bestimmten Lebensumständen ein Marktsegment, das ebensogut zu bedienen ist wie Männer in ihren Lebensumständen. In einer patriarchalen Bürgergesellschaft unterscheidet sich der Lesestoff trotzdem vehement. Früher mußte der Mann hinaus ins feindliche Leben, während die Frau besänftigende Lektüre genoß. Dann aber kam die Befreiung, und die findet immer noch zunächst auf dem Büchermarkt statt.

Die Vorbilder der Genres sind Bücher, die sozusagen auf natürliche Weise Lebens- und Traumwelten von Autorinnen und Autoren und Leserinnen oder Lesern miteinander verbinden. Emily Brontä zum Beispiel lebt nicht vor oder neben den Geschlechtsgenossinnen ihrer Zeit und ihrer Klasse, sondern mittendrin. Sie träumt ihren Traum, initiiert das Genre, das man heute etwa unter der Rubrik „Romantic Thriller“ erwerben kann. Aber sie gehört der Gattung so wenig an, wie James Fenimore Cooper dem Western- oder Edgar Allen Poe dem Horror-Genre.

Natürlich gab es mit der Entwicklung der bürgerlichen Lesekultur einen breiten Strom an Frauenliteratur, der genauso dumm und brutal ist wie der der Männer oder Kinder: Text gewordene Ideologie. Von der Wiege bis zur Bahre wird „Trotzköpfchen“ auf ihren Platz im Haus und der Welt getrimmt, während Hänschen unter die Soldaten will. Dennoch bleibt Trotzköpfchen immer trotzig. Jede Genreerzählung läßt sich so oder so lesen, als Ausbruchs- und als Geborgenheitsphantasie.

Die Kunst der modernen Frauenliteratur besteht jedenfalls darin, den Traum von einer Frau zu entwickeln, die einerseits aus der Enge der bürgerlichen Verhältnisse auszubrechen versteht, auf der anderen Seite immer wieder eben diese Geborgenheit sucht. Das Thema ist immer gleich: der Traum von der Versöhnung des Orgasmus mit der sozialen Sicherheit einer bürgerlichen Ehe. Wobei auch Frauen nicht nur reine Herzen haben mußten. Während man sich in der Männerliteratur eher vor dem Sündenpfuhl der Großstadt und vor der Unübersichtlichkeit der Welt fürchtet, erkennt Miss Marple: „In kleinen Dörfern gibt es viel Bosheit.“ Agatha Christie war wohl die erste Autorin, die ganz gezielt eine Leserschaft bediente, eben jene Bürgerinnen, denen der Sinn nach ein wenig Gift – und gesellschaftlicher Teilhabe stand. Aber nicht Miss Marple, sondern Margaret Thatcher ist in England zur Macht gekommen. Die britische Premierministerin war einerseits die Erfüllung aller Träume von starken Frauen und mußte doch die größte Verräterin werden.

Aber natürlich gab es auch einen anderen Zweig des Genres, und der wippte weit über den Heimat-, Schloß- und Arztromanen und verlangte Selbstbestimmung und etwas mehr Respekt, bitte schön. Autorinnen, die zur Arbeit in Genres bereit waren, wählten sich daher erst einmal die harten Abteilungen. Und dort konnten seit den sechziger Jahren auch Aspekte von Emanzipation behandelt werden, ohne den weiblichen Teil des Mainstreampublikums allzusehr zu verstören, wie es die militante Frauenliteratur aus der gleichen Zeit tat.

Doch die Gesetze des Marktes, des Genres und der Konsensbildung im Mainstream sind unerbittlich. Und so erlebte, nach einer wilden Phase, in der sich Genreliteratur und Literatur-Literatur ebenso heftig begegneten wie private Peinlichkeit und öffentliche Offenheit, auch die „Frauenliteratur“ als Gattung eine neuerliche Metamorphose. In den achtziger Jahren formierten sich die Genres zu einer neuen Ordnung, die den Markt des weiblichen Mittelstands so todsicher zu bedienen wußte, wie die Kohl-Regierung das Feld der Politik besetzte.

Die Visionen verschwanden ebenso wie die Radikalität. Der Stoff, aus dem die Frauenbestseller nun gemacht werden, ist genauso paradox konstruiert wie die postfeministische Lebenspraxis im Kleinbürgertum des Neoliberalismus: Karriere machen in Männerwelten – wie Polizei oder Politik –, aber dabei doch Mensch sein.

Im Grunde sind die neuen Verhältnisse (auf dem Buchmarkt wie im richtigen Leben) wieder die alten. Das Spiel von Aufbruch und Geborgenheit setzt sich fort – mit umgekehrten Vorzeichen: Die Heldin der traditionellen Frauenliteratur suchte nach der einen großen Liebe und gestand sich nicht ein, daß ihr eigentliches Begehren ziemlich polymorph war; das Idol der neuen Frauenliteratur gesteht sich nicht ein, daß es bei allen polymorphen Erfahrungen den einen Geliebten sucht.

Die Heldin der alten Frauenliteratur sah als letzte Hoffnung all ihrer Widersprüche den Mann, der ihr die soziale Sorge abnahm; die Heldin der neuen Frauenliteratur sucht als letzte Hoffnung all ihrer Widersprüche den Typen, der einerseits ihrer Karriere nicht im Wege steht, andererseits tröstlich vorhanden ist, wenn es damit nicht klappt.

Aus den rebellischen Frauen von einst sind nicht nur melancholische Mütter geworden; aus Texten, die parteilich und manchmal auch peinlich Fundamentales in der sexuellen Ökonomie zu berühren versuchten, sind Trostmaschinen neuer Mütterlichkeit wie Hera Lind geworden.

Oder wie meine Buchhändlerin sagt: Frauen träumen nicht mehr vom Kämpfen. Sie wollen es sich gemütlich machen und gewinnen, und lachen und sehen, daß es anderen Frauen genauso dumm ergeht wie ihnen. Sie wollen Männer bescheuert finden und sich zugleich in sie verlieben.

Natürlich gibt es ganz andere Sachen. Ganz andere Ideen. Ganz andere Menschen. Aber die verkaufen sich einfach nicht so gut.

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