: „Ich bin nicht lebensmüde“
■ Eine 20-Zentner- „Mörderbombe“verwandelte Mittwoch abend die Bremer City in eine Geisterstadt / die taz sprach mit Sprengmeister Andreas Rippert über seinen Job
Um 21.39 Uhr am Mittwoch abend jagte Andreas Rippert eine grüne Rakete in den Bremer Nachthimmel. Der Bremer Polizeisprengmeister hatte eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft – ein „Mörderding“mit 20 Zentnern Gewicht. Der Blindgänger war bei Baggerarbeiten in der Weser aufgetaucht. Da er nicht transportfähig war, mußte Rippert auf einer Schute an die Arbeit. Dabei kann jeder Wellenschlag einer zuviel sein. Der Job wird zum Nervenkitzel. Wie man damit umgeht, darüber sprach die taz mit Andreas Rippert.
taz: Herr Rippert, sind Sie eigentlich lebensmüde?
Andreas Rippert, Sprengmeister der Bremer Polizei: Nein! Ich bin nicht lebensmüde.
Aber ein bischen risikofreudig.
Nein, man muß so gut ausgebildet sein, daß man das Risiko einschätzen kann. Das ist genauso wie mit den Stuntmen. Die rechnen vorher genau aus, was sie machen können und was nicht. Das ist bei uns ähnlich. Wir können das Risiko relativ gut einschätzen.
Wie wird man Sprengmeister?
Ich persönlich bin bei der Bundeswehr Minentaucher gewesen und habe da meine munitionstechnische Grundausbildung bekommen. Danach bin ich in Hamburg eineinhalb Jahre weiter ausgebildet worden, speziell hinsichtlich Bombenblindgänger, Zünder, Entschärfungsmethoden, aber auch Tiefbautechnik, Grundwasserabsenkung, Wasserortung und so weiter.
Ist das der übliche Weg?
Normalerweise wird man Feuerwerker bei der Bundeswehr und absolviert danach einen Truppenführer-Lehrgang bei der Sprengschule in Dresden.
Kann man nur bei der Bundeswehr Sprengmeister werden?
Im Allgemeinen ja. Es gibt sicher einige Ausnahmen. In der Vergangenheit sind auch Leute ausgebildet worden, indem sie mit den Alten mitgelaufen sind. Heute erfolgt die Grundausbildung aber fast ausschließlich bei der Bundeswehr.
Verdient man gut als Sprengmeister?
Man verdient nie genug.
Gab es bei Ihnen mal ein Schlüsselerlebnis, daß Sie gesagt haben, ich werde Sprengmeister?
Das hat sich zufällig so ergeben. Man macht einen Lehrgang nach dem anderen und fragt sich nach der Bundeswehrzeit, was mach ich beruflich. Bei mir hat dann der Kollege Zufall mitgeholfen, weil gerade eine Stelle als Sprengmeister in Hamburg frei war.
Was sagt denn Ihre Frau zu dem Beruf? Hat sie keine Angst?
Angst hat sie schon. Und ich glaube, für die Frauen ist der Beruf schlimmer, weil sie nicht mit vor Ort sind. Das ständige Warten, wenn wir draußen sind, diese Fragen, geht das gut? Darum rufe ich sie nach jeder Entschärfung sofort an. Ihr fällt dann immer ein Stein vom Herzen.
Mitkommen wollte sie noch nie.
Darf sie auch nicht. Aber mir ist es selbst schon so ergangen wie ihr, wenn die Kollegen entschärfen, und man ist selbst nicht mit dabei. Man macht sich doch mehr Gedanken als vor Ort.
Gibt es viele unterschiedliche Zünder, die man kennen muß?
Die Engländer allein haben 99 Bombenzünder. Wir finden zusätzlich noch Panzerfäuste, relativ viele Granaten, Werfer- und Gewehrmunition, Panzerabwehrwaffen – es ist ein breites Spektrum. Ab und zu kommt auch schon mal eine Seemine in den Hafenbecken vor. In Bremerhaven kommt zudem schon mal ein Torpedo zum Vorschein. Man muß mit allem rechnen.
Was war ihr spannendstes Erlebnis?
Im August hatten wir eine Bombe mit Langzeitzünder. Die ist sehr kritisch zu entschärfen. Da mußten wir das Zündrohr absägen. Allerdings war die Säureampulle in dem Rohr zerbrochen und hatte das Metall angefressen und einen leichten Überdruck gebildet. Beim Aufsägen zischte die Säure dann plötzlich aus dem Rohr und schäumte. Da ist mir und meinem Kollegen das Herz schon ziemlich weit in die Hose gerutscht. Das war so einer der kritischsten Momente. Lustig dagegen war eine ältere Dame, die ins Altersheim sollte. Bevor sie ihr Haus abgegeben hat, hat sie uns dann noch angerufen und gesagt, daß in ihrem Garten eine Bombe liegt. Auf die Frage, warum sie nicht schon früher angerufen habe, kam dann nur die Anwort: Ihr Jungs hättet mir nur den ganzen Garten zertrampelt.
Wieviel Bomben haben Sie schon entschärft?
Ich denke mal, daß es so ungefähr 150 gewesen sind. Aber im Moment brummt es so richtig. Allein vom 10. September bis heute hatten wir 57 Stück. Das liegt an den vielen Kleinbomben in einem Gebiet. Das sind die sogenannten Frak 20. Das sind Splitterbomben, die wiegen 20 Pfund. Davon sind sehr viele abgeworfen worden. Gezielt vor allem, weil in dem Gebiet eine Flakstellung war.
Haben Sie mal miterlebt, wie eine Entschärfung daneben gegangen ist?
Nein. Ich weiß aber von einem Kollegen, der Schwierigkeiten mit einem Langzeitzünder hatte. Wenn man Glück hat, kann man sehen, wie weit das Zellophanplättchen, daß den Schlagbolzen zurückhält, aufgelöst ist. Der hat da reingeguckt, ist sofort in Deckung gerannt und dann ist das Ding auch hochgegangen. Ich selbst hab bei einer Entschärfung mal einen Langzeitzünder ausgebaut. Eine Minute danach ist der Schlagbolzen losgegangen. Da denkt man über den Job nach und merkt wieder mal, wie gefährlich das ist. Oder gestern haben wir noch eine von diesen kleinen Bomben gesprengt. Und wenn man sieht, daß diese kleinen, 25 Zentimeter langen Dinger einen ein mal eineinhalb Meter großen Krater sprengen, dann sieht man mal wieder, daß da ganz schön Kawumm hintersteckt. Das verdrängt man nach einer gewissen Zeit immer mal wieder. Und da hilft es wirklich, wenn man ab und zu eine Bombe sprengen muß, um sich selbst die Gefahr wieder vor Augen zu führen. Fragen: Beate Willms
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