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Muß der Wachtelkönig reichen?

Rot-Grün: 6jährige Grundschule und mehr Fahrradwege. Aber weiter uneins über DASA-Erweiterung  ■ Von Silke Mertins

Der Fahrradverkehr, verkündete GAL-Vorstandssprecherin Antje Radcke erleichtert, soll „Schwerpunkt der Verkehrspolitik“in Hamburg werden. Nach achtstündigen Koalitionsverhandlungen hatten sich SPD und Grüne am späten Freitag abend darauf geeinigt, daß Radler künftig Einbahnstraßen in beide Richtungen befahren dürfen, mehr Fahrradwege gebaut und auf möglichst vielen Straßen Streifen für Radler abgetrennt werden.

Auch die SchulpolitikerInnen können mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden sein. Die GAL setzte durch, daß die Grundschule von vier auf sechs Jahre verlängert wird. Das soll vor allem Kindern aus sozial schwachen Familien zugute kommen. Der Schritt sei der SPD durchaus schwer gefallen, räumte SPD-Parteichef Jörg Kuhbier ein. Denn die Sozialdemokraten hatten dies schon einmal 1953 versucht und anschließend die Wahl verloren. Doch „Komplexe sind dazu da, daß man sie überwindet“, so Kuhbier. Dieses Mal wird zudem die Verlängerung der Grundschulzeit nicht flächendeckend, sondern erst einmal an drei Schulen eingeführt, die sich für die Erprobung bewerben können. Zusätzlich soll jedes Jahr eine weitere Ganztagsschule entstehen.

Durchsetzen konnte die GAL jedoch nicht ihre Forderung, die Einführung der Verläßlichen Halbtagsgrundschule auf vier Jahre zu strecken. Allerdings soll das Konzept nachgebessert werden. Die GAL hatte die Halbtagsgrundschule stets befürwortet, jedoch die von oben diktierte und schlecht vorbereitete Umsetzung scharf kritisiert.

Überrascht wurden beide Verhandlungsdelegationen von der Nachricht, daß die Zahl der Schulkinder nur um 13.500 und nicht, wie angenommen, um 17.000 in den nächsten vier Jahren steigt. Deshalb konnte man sich noch nicht auf die Anzahl neuer Lehrerstellen einigen. Fest steht jedoch, daß JunglehrerInnen nur noch Zweidrittel-Verträge auf Angestelltenbasis erhalten werden.

Zudem wird die umstrittene neue Zeugnisordnung noch einmal überarbeitet. Die vorgesehene „Abschlußprüfung“für Haupt- und Realschulen würde nach Ansicht der Grünen die Chancen für schwache SchülerInnen auf eine Lehrstelle mindern und Fähigkeiten im praktischen und sozialen Bereich abqualifizieren. Das Thema Lehrstellennot soll erst mit dem Verhandlungskomplex Beschäftigungspolitik auf der Tagesordnung stehen. Hochschule und Jugendpolitik ist für kommenden Dienstag geplant.

„Große Einigkeit“, so Kuhbier, konnte in der Wirtschaftsförderung erzielt werden. Innovative Bereiche, ExistenzgründerInnen sowie kleinere und mittlere Betriebe sollen von einer rot-grünen Regierung profitieren. Wo in Hamburg kleine „Industrieparks“entstehen sollen, wollen SPD und GAL beim Thema Stadtentwicklung beraten.

Verschoben wurde allerdings das heiße Eisen DASA-Erweiterung in Finkenwerder. „Sehr schwierig“, wußte Kuhbier lediglich zum Stand der Dinge zu berichten. Auch die SPD würde das Mühlenberger Loch nicht gerne zuschütten. Er selbst habe das Gebiet in seiner Zeit als Umweltsenator schließlich unter Naturschutz gestellt. Doch niemand, auch die GAL nicht, will als Verhinderer von 4000 Arbeitsplätzen dastehen, falls das Werk den Zuschlag für den neuen Airbus erhalten sollte. Andererseits kann die GAL unmöglich zustimmen, ein wertvolles Vogel- und Wasserschutzgebiet zu zerstören.

Zwar kam in der vierten Verhandlungsrunde nicht zur Sprache, welchen Ausgleich die Grünen für ihr Ja zu Elbvertiefung und Hafenerweiterung bekommen. Es wird jedoch davon ausgegangen, daß die Großsiedlung Neugraben-Fischbek nicht weiter gebaut und somit der berühmt-berüchtigte Wachtelkönig gerettet wird.

Ob der Wachtelkönig als „Gegenfinanzierung“für die GAL reichen muß, wird sich in dieser Woche zeigen. Für Donnerstag stehen Energie und Müll auf dem Programm. Die Grünen wollen das AKW Brunsbüttel stillegen. Ob das möglich ist, wird sich erst durch Einsicht in die Verträge zeigen. Ähnliche vertragliche Hürden sind bei einer angestrebten Wende in der Müllpolitik zu befürchten.

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