■ Der türkische Schriftsteller und Bürgerrechtler Yasar Kemal wurde als "Anwalt der Menschenrechte" mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Die Festveranstaltung wurde zum Tribunal für die Bundesregierung: Ein unbequemer Prei
Der türkische Schriftsteller und Bürgerrechtler Yașar Kemal wurde als „Anwalt der Menschenrechte“ mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Die Festveranstaltung wurde zum Tribunal für die Bundesregierung
Ein unbequemer Preisträger
Der „Börsenverein des deutschen Buchhandels“ ist sicherlich keine Institution mit besonderer Vorliebe für Kritik. Er hat dafür Sorge zu tragen, daß seine Mitglieder gute Geschäfte machen. Aber manchmal weiß er nicht so genau, was er tut. Das war vor zwei Jahren so, als er der Orientalistin Annemarie Schimmel den Friedenspreis zuerkannte, scheinbar ohne sich zuvor gründlich genug informiert zu haben. Damals mußte er eine halbjährige Protestwelle durchstehen, hielt aber, um das Gesicht zu wahren, an der Preisträgerin fest. Das ist auch in diesem Jahr so. Denn wer glaubte, mit einem Preisträger Yașar Kemal könne man sich wohlfeil für Demokratie und Menschenrechte im fernen Anatolien einsetzen und es sich im Vollgefühl, das Gute zu unterstützen, gemütlich machen, sah sich gründlich getäuscht.
Nun mußte der Börsenverein gestern eine Festveranstaltung durchstehen, die phasenweise zum Tribunal gegen die Regierungspolitik wurde. Kemal hatte sich zur Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche Günter Grass als Laudator gewünscht – und beide ließen es in der weihevollen Zeremonie nicht an deutlichen Worten fehlen. Kemal hatte schon tags zuvor den europäischen Staaten und besonders Deutschland vorgeworfen, die Demokratiebewegung in der Türkei im Stich zu lassen. Grass nutzte die Gelegenheit, die „rassistische Politik“ der Regierung und ihre Abschiebepraxis anzuprangern: „Der Ruf, Ausländer raus!, steht nicht nur auf Hauswänden“, sagte er in seiner Laudatio. Rechte Schlägerkolonnen seien das Echo der Bonner Politik, die Asyl verweigere und Waffenlieferungen an die Türkei dulde.
Der Auftritt von Günter Grass ließ für kurze Zeit die Illusion wiederaufleben, der Dichter könne durch Worte die Politik aufrütteln und die Welt zum Besseren bewegen. Die Literatur übernahm für eine halbe Stunde die Macht und verurteilte die Politik zum Zuhören und zum Schweigen – immerhin.
Die Angesprochenen aus Bonn glänzten jedoch weitgehend durch Abwesenheit. In den vorderen Reihen sah man als Regierungsvertreter lediglich den für Sozialabbau zuständigen Norbert Blüm nebst Gattin. Aber keinen Kanther, keinen Kinkel, keinen Kohl – noch nicht einmal Bundespräsident Roman Herzog wollte sich der Grass-Rede aussetzen.
Die Literatur, so Grass, schlage eine Brücke zwischen den Kulturen, mache uns zu Mittätern und ziehe uns in Mitleidenschaft. Yașar Kemal, der für seine Überzeugungen als junger Marxist ins Gefängnis ging, der Exil und Veröffentlichungsverbote erlebte, wurde von Grass als Garant eines kompromißlosen Einstehens für Menschenrechte gepriesen. Das Unrecht sei in Kemals Büchern unübersehbar, aber auch unausrottbar, weil der Kampf gegen das Unrecht neues Unrecht erzeuge.
Ein Plädoyer für die kulturelle Vielfalt
Es ist diese Moral, die sich selbst nicht höher stellt, die nicht aufgibt, auch wenn sie um die eigene Hinfälligkeit weiß, die Grass und Kemal miteinander gemeinsam haben. Und es ist das Eingeständnis der eigenen Schwäche, die selbst Grass' pathetischen Ausruf „Ich schäme mich meines Landes!“ erträglich machen. Man sollte diese Differenzierung im Ohr haben, wenn man die Botschaft in Kemals Dankesrede hört: Wer seine Bücher lese, solle niemals Kriege wollen, Ausbeutung nicht ertragen können und auf der Seite des Guten stehen. „Ich bin engagierter Schriftsteller, mir und meinen Worten verpflichtet“, sagte er. Kemals Plädoyer für die kulturelle Vielfalt Anatoliens dürfte für die türkischen Machthaber nicht so leicht vom Tisch der Friedenspreisverleihung zu wischen sein.
Der Autor als politisches Gewissen und öffentlicher Redner – in der Paulskirche haben Kemal und Grass den adäquaten Ort für einen großen Auftritt gefunden. Es ist ein Ort, der schon rein ästhetisch irgendwo zwischen Kirche und Parlament liegt und der den spröden Charme einer Aussegnungshalle besitzt. „Hier ist das Wort souverän“, meinte Börsenvereinsvorsteher Gerhard Kurtze und wollte die Paulskirche als „Ort der demokratischen Tradition“ verstanden wissen. Grass rückte diese Einschätzung zurecht und bezeichnete sie als „trauriges Relikt deutscher Vergeblichkeit“, den Ort, an dem die Revolution von 1848 an Bismarck scheiterte und der auch nach 1945 weiter im Abseits schlummerte: „ein Vakuum unserer Geschichte, das nur einmal jährlich ausgefüllt wird“. So möchte Grass seinen Auftritt verstanden wissen: als Ausfüllung des demokratischen Vakuums und er selbst als demokratischer Erfüller.
Seine Kritik ist laut und ungebrochen, aber sie erklingt am ihr zugewiesenen Ort der Vergeblichkeit. Denn das ist das Tragische am kritischen Intellektuellen: Er ist im System vorgesehen. Sein Rednerpult ist marmorgetäfelt. Die Regierung hätte ruhig kommen können. Jörg Magenau
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