: Freier Fall ins Bodenlose
■ Zwischen Schmalzkuchen, Bruchpiloten und Witzfiguren: Ein Freimarktbummel mit Dr. Blohm und Herrn Voss
Auf der ständigen Suche nach Traditionen und Avantgarde im Bremer Kulturleben machten sich die taz -Tester Dr. Blohm und Herr Voss jetzt auf zum Bremer Freimarkt. Ein wenig gespannt treffen sich der nörgelig-kritische Dr. Blohm und der unbedarfte Voss hinter dem Hauptbahnhof, wo der höchste transportable Turm der Welt „Top Of The World“erste Irritationen auslöst...
Herr Voss: Guten Abend, Doktor Blohm. Sie stehen hier vor einem Wunderwerk der Technik!
Dr. Blohm: Was ist denn so wundersam an diesem Gestänge?
Voss: Nun, diese Kabine, die sich da an dem 95 Meter hohen Turm nach oben bewegt, wird gleich mit 132 Personen im freien Fall Richtung Boden rasen.
Blohm: Ja, ja, schon gut, warten wir doch einfach ab. Hoffentlich dauert's nicht gar so lang, sonst bekomme ich einen steifen Nacken. (Eine ereignislose Viertelstunde später geben die beiden auf.)
Voss: Ich hätte nichts gegen ein paar Schmalzkuchen einzuwenden.
Blohm: Die müßte es hier an jeder Ecke geben, falls nicht die neue Fast-Food-Generation diesem Brauch den Garaus gemacht hat.
Voss: Müssen sie immer mäkeln? Schauen sie, die Leute freuen sich ihres Lebens. Mich würde eine Achterbahnfahrt reizen.
Blohm: Wie wär's denn mit dieser? Die scheint besonders attraktiv zu sein: Eurostar.
Voss: In der Tat. Außerdem gibt es auch mehrere Überschläge und so. Begleiten Sie mich?
Blohm: Entschuldigen Sie, aber da muß ich leider passen. Aber tun Sie sich keinen Zwang an, bei der Firma Bruch mitzufahren...
Voss: Wie bitte?
Blohm: Der Eurostar gehört der Firma Oscar Bruch.
Voss: Vielleicht doch nicht...
Blohm (ärgerlich): Voss, Sie sind ein hoffnungsloser Fall. Voss: Jetzt beruhigen Sie sich doch, Dr. Blohm. Kommen Sie, ich gebe Ihnen ein Bier aus. (Vorbei an einem leeren Kettenkarussell nähern sie sich „Freefall“)
Blohm: Hier haben sie ihren freien Fall, Herr Voss!
Voss: Oh, tatsächlich! Ich muss mich versehen haben. Aber der Preis ist doch reichlich happig.
Blohm: Dafür bekommen Sie die Gelegenheit, kollektiv nachzufühlen, wie sich eine Versuchsanordnung im Fallturm fühlen muss. Da wird das Vergnügen fast schon zur Wissenschaft. Ach, wäre ich doch nur kein Brillenträger! Aber sehen Sie dort! Schmalzkuchen! Zwei Portionen bitte!
Voss: Köstlich! Nach dieser Stärkung würde ich gern mit Ihnen Auto-Scooter fahren!
Blohm: Später vielleicht. Mir ist kalt. Wie wär's, wenn wir in die Halle 5 gehen, uns ein bißchen aufwärmen und ein Bierchen zu uns nehmen?! (So geschieht es.)
Voss: Hier ist es aber wirklich angenehm warm.
Blohm: Wenn bloß diese Musik nicht wäre! Sehen Sie sich bloß das Programm an: Bata Illic, Jürgen Marcus und Boney M. Das ist doch nichts als die bloße kulturindustrielle Reproduktion des immer gleichen.
Voss: Wissen Sie was ich glaube? Sie haben einfach nur eine zu hohe Amüsierschwelle, Dr. Blohm.
Blohm: Das meinen Sie. Ich kann mich hervorragend amüsieren. Zum Beispiel über dieses T-Shirt. Beck's Street Boys ist doch wirklich ein hervorragender Witz!
Voss: Sie Nörgler! Wissen Sie was? Das werde ich mir jetzt kaufen!
Blohm: Ihre Amüsierschwelle, wie Sie es nennen, scheint in der Tat unter der meinen zu liegen.
Voss: Aber ohne eine Fahrt im Autoscooter kommen Sie mir heute nicht davon! (Eine Ewigkeit später)
Blohm: Ich fühle mich um Jahre gealtert, Herr Voss! Ich brauche jetzt einen Aquavit. Und Marianne Rosenberg habe ich wegen Ihrer Bummelei auch verpaßt! Ich schlage vor, Sie geben mir jetzt einen aus. Die Wahl des Tresens überlasse ich Ihnen, Hauptsache die Lokalität ist außer Sicht- und Hörweite dieses Molochs.
Voss: (beschwichtigend) Aber sicher. Sie wissen doch, daß ich so ein Angebot nie ausschlagen würde. (Beide ab.)
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