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Jenseits von Bertelsmann

Was fällt einem zu Kolumbien ein? „Just Watch“ in Zürich: Symposium und Ausstellung über „Repräsentationspolitik in den elektronischen Medien mit MedienproduzentInnen des Globalen Südens“  ■ Von Jochen Becker

Für ihren Vortrag über „Repräsentationspolitik in den elektronischen Medien“ trat die kolumbianische Videosozialarbeiterin Silvia Mejia im indischen Kleid und mit rotem Punkt auf der Stirn hinter das telegene Rednerpult der Shedhalle Zürich. Dies sei ihr Beitrag zur geforderten „Transkulturalität“ sowie ironischer Kommentar zur modischen Selbstethnisierung als Frau im Kostüm des Globalen Südens. „Was fällt euch zu Kolumbien ein?“ fragte sie in die Runde und erhielt als klare Antwort: „Drogen.“ Kraft mediengestützter Stigmatisierung kann sie sich einer Durchsuchung am Flughafen sicher sein: „Mit einem kolumbianischen Paß herumzurennen ist zum Kotzen.“

Silvia Mejia arbeitet als Videosozialarbeiterin mit Knackis, Prostituierten und anderen Menschen abseits der Betäubungsmittelindustrie. Viele erkannten sich hierbei erstmalig auf einem Bildschirm wieder. Eine Gruppe von Näherinnen gab den Kameras gar persönliche Namen. War es anfänglich noch ein kreatives Kopieren der „diversen TVs“ zwischen Modeshow, Sozialdrama oder Werbung, so folgten bald eigene Geschichten und dezidierte Fragestellungen zur sozialen Position. Mit der Zeit bildete sich um das Medium herum eine neue Organisiertheit heraus, so daß es sich empfehle, das Equipment dort zu belassen.

Insgesamt zehn MedienproduzentInnen nahmen auf Einladung von Ursula Biemann, Martine Ander, Pauline Boudry und Agnes Bieber in einer Art Fernsehstudiokulisse Platz und sprachen im Rahmen der Ausstellung „Just Watch“ über Selbstdarstellung, lokale Medienarbeit oder die weltumspannende Konzentration der Medienkartelle. Das zweitägige Symposium sowie die Ausstellung reagieren auf die Verschärfung von Asylrecht und Migrationsbedingungen mit der Frage nach der medialen Repräsentation der hier „Globaler Süden“ genannten Zuwandererländer. So spielte weniger die lokale Diskriminierung von Personen denn ihre diskriminierte Darstellung eine Rolle. Weiterhin stand eher die Präsentation der TV- und Videoproduktion vor Ort und ihrer MacherInnen im Vordergrund als eine entsprechende Analyse Schweizer Medien. Einen entscheidenden Schwerpunkt bildete die Repräsentationspolitik von Frauen, welche sich einer bloß naturhaft begriffenen Feminisierung des Trikonts erwehrt. Allesamt Ländern der südlichen Halbkugel verbunden, versah die Übersetzung die Gäste dann wieder mit Männerstimmen des Nordens: Kurzschluß der medialen Vermittlung.

Mehrere Tage brauchten Irina Mardar und Tatjana Borodina, um von Rostow im Südkaukasus nach Zürich zu gelangen. Sie stellten ihre kleine Journalistencrew vor, welche mit einfachen Mitteln lokales Fernsehen macht. Als Beispiel zeigten sie Straßeninterviews über den Zusammenhang von Pornographie, Zensur und freier Marktwirtschaft, wo soviel „Schnee auf der Rolle der Frau“ zu liegen scheint wie auf den eisigen Alleen im Bildhintergrund. „Ist dieses Bild im Fenster Pornographie oder Erotik?“ wurde bei einem „Kiosk- Referendum“ ein herumstehender Mann gefragt, dem Interviews mit dem Vertriebschef der Zeitschriften und mit staatlichen Behörden folgten. Welche Kriterien gelten für die A/B/C-Kategorisierung für Sexfilme im TV? Und warum sind Pornobilder als Zugabe in Kaugummipackungen erlaubt?

Erst wird der Palast gestürmt, als nächstes die Medien – und nicht etwa die Nationalbank. Der Sturz des philippinischen Präsidenten Marcos im Oktober 1985 bedeutete zugleich das Ende des „Government TV“. Die Studios wurden eingenommen, die Techniker flüchteten, das Chaos wurde mit Filmen der DemonstrantInnen gefüllt. Anna Leah Sarabia beschreibt die turbulente Mediengeschichte ihres Landes zwischen Zensur, Medienkonzentration und einer „Betamax-Revolution“ durch Videokassettenvertrieb. Die revolutionäre Machtergreifung reproduzierte sich durch Aneignung der Fernsehstationen, aber auch durch Plünderung von Gerätschaften. Als neue Formate wurden rasch zu produzierende Talkshows eingeführt, welche – Ironie der Geschichte – nachfolgend die Basis der einsetzenden Kommerzialisierung bildeten.

Vom staatlichen zum kommerziellen TV

Die neue Präsidentin Aquino förderte die mediale Präsenz von Frauen, doch schon bald kehrte die alte Medienoligarchie zurück. Auch die katholische Kirche forderte Rückgaben ein, stellte zudem ein Drittel der Verfassungskommission, eignete sich große Radiostationen an und dominierte die Zensurbehörde. Das Wort Abtreibung darf nicht mehr erwähnt werden, was die MedienproduzentInnen allerdings in live gesendeten ExpertInnensendungen zu umgehen suchen. Innerhalb von zwei Jahren hatte sich das vormals staatliche, dann revolutionäre Fernsehen zum kommerziellen Medium entwickelt. Nach Aquinos Regentschaft wurde es für Menschenrechts- sowie für feministische Themen zunehmend schwer, auf dem Bildschirm zu erscheinen. Noch ist für Anna Leah Sarabias Mädchen- und Frauensendung „XYZ“ die Zeit „on air“ ohne Gebühren, doch der Rest der Produktionskosten muß selbst aufgebracht werden. Mit neuem Programm-Muster im seltsamen Mix auf MTV-Style und Aufklärungston, mit Sendungen aus einem Shoppingcenter oder einem parallel erscheinenden sechsseitigen Supplement der populärsten Wochenzeitung sucht die „XYZ“-Redaktion das Beste aus dieser Situation zu machen.

Gargi Sen von der Frauenaktionsgruppe Magic Lantern Foundation aus Delhi sprach über den Gegensatz einer weit zurückreichenden und wohldokumentierten Geschichte der schriftgewandten Oberschicht Indiens, der eine mündlich weitergegebene und auch in den Massenmedien kaum präsente Geschichte „von unten“ gegenübersteht. Insgesamt 18 „wurzellose“ Satelliten-TV-Systeme finanzieren sich mit „Sponsored by“-Tafeln, welche das untere Drittel des Bildschirms abdecken. Dagegen haben sich Wandervideokinos entwickelt, welche übers Land ziehen und dabei auch Proteste unterstützen. Die in London lebende Inderin Gita Sahgal berichtete von innerindischen Konflikten in Großbritannien, welche Anfang der Achtziger mit einer Protestdemonstration vor einem Reihenhaus begannen. Hier hatte sich eine indischstämmige Frau unter dem Druck patriarchalischer Verhältnisse erhängt. Obgleich häusliche Gewalt generell verurteilend, waren sich hierbei viele Feministinnen noch uneins, da sich der Protest zugleich gegen den Angehörigen einer Minderheit richtete. Auch die Rushdie- Affäre spaltete die muslimische Gemeinde sowohl untereinander als auch im Verhältnis zu den Briten.

Eine neuartige Muslim-Identität

Während sich westlicher Rassismus immer weniger über Hautpigmente denn religiös („wir Christen“) artikuliere, formte die Rushdie-Affäre in Großbritannien eine neuartige Muslim-Identität heraus, obgleich ihre Anhänger aus diversen asiatischen oder nordafrikanischen Ländern stammten. Die neuen Konfliktlinien zeigen sich entlang der Geschlechtergrenzen sowie Formen des religiös sich artikulierenden Fundamentalismus. Gita Saghal präsentierte das Video einer Männerdemonstration gegen Rushdie, einer Gegendemo der Women against Fundamentalism, dazwischen britische Polizei. Die heftige Rangelei fand nahezu unter Ausschluß der britischen Öffentlichkeit statt: „Die Linke wird es nicht tun, das müssen die Frauen machen.“

In den Niederlanden ist die mediale Integration der Zugewanderten schon fortgeschrittener. So existieren inzwischen fünf MigrantInnensender, welche seit 1992 untereinander vernetzt sind. Felix de Roony vom Amsterdamer Migrant TV betont die Bedeutung der niederländischen Untertitelung, so daß ihr wöchentlich vierstündiges Programm nicht nur 80 Prozent der MigrantInnen, sondern ein Viertel der gesamten Zuschauer über 16 Jahre erreiche. Migrant TV wurde 1984 mit einer Subvention von 250.000 Mark vom Kultusministerium gegründet. Die Hälfte der nunmehr 1,3 Millionen Mark jährlichen Kosten übernimmt die Stadt Amsterdam, während der Rest durch Koproduktion und kommerzielle Aufträge hereingeholt werden muß.

Im Rahmen der Ausstellung verweisen noch eine im Aufbau befindliche Website im Internet sowie eine bereitgestellte Videothek auf weitere Projekte und Initiativen. Überdies hatte die Künstlerin Marion Baruch hierzu Kontakt mit den KirchenasylantInnen Sans-Papiers de St. Bernard aufgenommen. Zur Zeit läuft in den franzöischen Kinos ein dreiminütiger Aufruf der Papierlosen, und weitere Videos zirkulieren. Sprecherin Madjiguène Cissé erzählte amüsiert von der Bitte nach einem Autogramm, als sie bei den Filmfestspielen in Cannes um Unterstützung warb.

Umgekehrt bat Marion Baruch gleich alle Sans-Papiers de St. Bernard, eine Signatur für die Ausstellung in Zürich zu geben: Nun hängt eine Wand voll mit DIN-A4 großen Identitätsbekundungen, denen eine Carte d'Identité weiterhin verwehrt bleibt.

Noch bis zum 2. November in der Shedhalle Zürich/Rote Fabrik. Die Website liegt bei www.access.ch/ justwatch

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