Der Götze des Jahrzehnts

■ Stereolab und Tied & Tickled Trio bilden den Pool der Geschmäcklerischen

Everybodys Darling zu sein ist ein schweres Los. Führt es doch in gleichem Maße zu respektloser Vereinnahmung wie zu szenisch motivierter Distanzierung. Zu allem Überfluß haben sich Stereolab für ihren neuen Tonträger von Tortoise und Mouse on Mars unterstützen lassen, um so einen Pool des zeitgemäßen Geschmäckelns zu bilden, gegen den eigentlich nur noch Protest möglich ist – wenn es denn nicht so gelungen wäre.

Denn Dots And Loops, das sechste Album der französisch-britischen Freundschaft, ist eine reiche Schenkung, ein beispielhaftes Miteinander aus beiden großen Teilbereichen der Musik – Melodie und Sound oder eben „dots“und „loops“. Da werden zarte Tonsetzungen um dezent gebrochene und mehrfach geschichtete Läufe gewunden, bis das gesamte Gebäude Barachachsche Komplexität besitzt. Und genau wie dessen unvergessene Ohrenpralinés sind Stereolabs Kompositionen zwar leicht zu hören, haben aber die Zuschreibung „Easy Listening“nicht verdient.

Ein weiteres Statement gegen Retro und Lounge haben Stereolab durch die Wahl ihres Supports getroffen. Das Tied & Tickled Trio, oder kurz TTT, ist mitnichten ein Trio, aber dies ist auch schon das einzige unernste Element an diesem Zusammenschluß. Es sind sieben Menschen unterschiedlicher musikalischer Herkunft, die sich in der süddeutschen Musikmetropole Weilheim begegneten. Der Anfang war dabei ein Schlagzeug-Duo, welches in Markus Acher und Christoph Brandner, berühmt durch ihre Zugehörigkeit zu den Bands Not-wist und Slum Lords, bestand.

Davon ist wenig geblieben, oder besser gesagt, daraus hat sich viel entwickelt. Denn zwar pluckert es zunächst los, daß die semiakustische Chicagoer Post- oder Krautrock-Falle gleich zuschnappen möchte, doch im weiteren Verlauf wird klar, wie weit TTT davon entfernt ist, Rhythmus, den Götzen dieses Jahrzehnts, anzubeten. Genausowenig erschöpft sich das multiinstrumentale Kollektiv in der selbstverliebten Auslotung elektronischer Effekte. Nein, trotz aller Vielfalt ist das dominante Element dieser Platte ganz eindeutig Jazz. Und zwar jener Definition, die bei allen geschmackvollen Menschen positive Assoziationen weckt.

Das ist Musik, wie sie in den 60ern auf Impulse oder Blue Note eingespielt wurde, mitten aus der Dreieinigkeit Luft, Improvisationen und Demokratie. Dazwischen, aber auch den Jazz durchdringend, arbeiten die kleinen Töne, die wenigen trockenen Hiebe auf die Snare, der Klang aus elektronischen und selbstgebauten Instrumenten. Das kommt wunderbar inspiriert zusammen, stärkt sich und wird alles... außer Pop, vielleicht.

Holger in' t Veld

Do, 23. Oktober, 21 Uhr, Grünspan