: Der gewisse Heugabel-Swing
■ Singende Schweinehirten, fröhliche Hausfrauen: in East Side Story dokumentieren Dana Ranga und Andrew Horn Ost-Musicals
Das sind noch Bilder. Eine junge Frau steht bei strömendem Regen im Wald und singt ihrem in den Krieg ziehenden Geliebten nach: „Sei tapfer, kämpfe für Rußland.“Viele solcher ideologisch deftigst aufgepumpten Szenen gibt es in East Side Story zu sehen, einer Dokumentation von Dana Ranga und Andrew Horn über die osteuropäische Version der Filmmusicals.
Unter dem Motto „Auch im Sozialismus wurde gelacht“zeigen die beiden RegisseurInnen singende Schweinehirten und lachend durch die Küche wirbelnde Hausfrauen und betreiben so eine Art Gegengeschichtsschreibungindem sie ein bißchen von der so grau gezeichneten Fassade des Ostblocks nachträglich abtragen.
In vielen Filmausschnitten, Interviews und Aufnahmen von Werberollen und Wochenschauen wird ein Bild nachgezeichnet, das zeigt, wie absurd und komisch die unmögliche Verbindung von staatlich gelenktem Sozialismus und Entertainment ist. Dennoch gibt die Dokumentation an keiner Stelle die Ostmusicals der Lächerlichkeit preis, da sie gleichzeitig der Tatsache Tribut zollt, daß diese Filme in der Deutschen Demokratischen Republik und den anderen Ostblockstaaten zu Kultfilmen wurden, die ihre eigenen Stars wie „Zonen-Elvis“Frank Schöbel oder die „Doris Day des Ostens“Karin Schröder hervorbrachten.
Interesssant ist East Side Story vor allem dann, wenn die Filmausschnitte dem kulturpolitischen Alltag und der Geschichte zugeordnet werden. So liefert etwa die Filmhistorikerin Maja Turuwskaja in einem Interview Hintergrundinformationen zu den sowjetischen Musikfilmen der 30er Jahre, die mit der Zensur zu kämpfen hatten und in Stalin überraschenderweise ihren größten Befürworter fanden. Er sah die Möglichkeit in den, von den Parteifunktionären kritisierten Filmen, Liebesgeschichte und Propaganda zu verbinden. In den Filmen seiner Zeit war folglich das Glück des fröhlich singenden Paares auch stets an mitschwingende Heugabeln und Kolchosehöchstleistungen gebunden. Mit Stalins Tod 1953 endete die Epoche eifrig besungener Planerfüllung in der Geschichte des Sowjetfilms dann auch erst einmal.
Dafür feierten die von der Defa produzierten Musicals dann in den Sechzigern in der DDR große Erfolge. 1958 entstand Meine Frau macht Musik, eine musikalische Komödie über einen biederen Abteilungsleiter, der sich mit den Träumen von einer Gesangskarriere seiner Frau so gar nicht anfreunden kann. Die Tatsache, daß diese Rolle vom selben Schauspieler gemimt wurde, der zuvor den Parteiheiligen Ernst Thälmann dargestellt hatte, paßte den Zensurbehörden gar nicht, und die Ausstrahlung des Films wurde erst einmal auf Eis gelegt. Als der Film schließlich, nochmals geschnitten, in die Kinos kam, war dies der Auftakt für eine ganze Reihe von DDR-Musikfilmen. Es folgten unter anderem Filme wie Revue um Mitternacht mit Manfred Krug und einer der ersten DDR Teenager-Filme Heißer Sommer.
Daß der Dokumentarfilm East Side Story, der eindeutig im Fernsehformat produziert wurde, im Kino läuft, mag zwar ungewöhnlich, sicherlich aber nicht falsch sein. Schließlich ist es ein Film über Kino, der einerseits vergessene Filmgeschichte aufarbeitet und gleichzeitig das Portrait einer Ära liefert.
Jens Kiefer
Metropolis
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