: Lotusblüte, irgendwie
■ Mobile für fünf TänzerInnen: Die Company artblau brachte ein Stück namens „AUX.muted“zur Ansicht
Wenn man bedenkt, wofür in dieser öffentlich armen Stadt Geld ausgegeben werden soll und wenn man munter vor sich hin rechnet, daß eine Space-Ocean-Park-Subvention in Höhe von bis zu 600 Millionen Mark 461 Jahre Shakespeare Company oder 15.000 mittelmäßig geförderte Theaterproduktionen finanzieren könnte, kommt gleich der Ökonom im Kopf und sagt, daß das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, weil das eine Wirtschaft ist und das andere Kultur und in „investiv“und „konsumtiv“geschieden wird. Ein einsichtsvolles Nicken erhält der Ökonom kurz darauf zur Antwort, bis der Starrkopf im Schädel auftritt und sich nicht damit abfinden will, daß manche Kunst des Geldes wegen gar nicht oder nur als Miniatur zur Welt kommt, wo doch die Kunst beinahe das einzige ist, das Ökonomen und Starrköpfe auf andere Gedanken bringen kann. Und endlich tritt auf der dritte und letzte Bedenkenträger und gibt zur Kenntnis, daß sich nach solch einem Rezensionsvorspann ein Verriß eigentlich verbieten müßte: Ein Stück für fünf TänzerInnen namens „Z-Project: AUX.muted“der Company artblau und Gästen hatte im Concordia Vorpremiere, bevor es erst in Braunschweig und dann beim Tanzherbst wieder in Bremen zu sehen sein wird.
Tanz ist ja sowas von vielfältig, und wie jede geduldige LeserIn allerspätestens ab Zeile 42 dieses Textes wissen sollte, hat auch der Grundschritt seine Reize. Der Grundschritt von „Z“bis „muted“der in Braunschweig residierenden und um drei Gäste verstärkten artblaus besteht aus einem Wort, einem Bild, einer Assoziation: Lotusblüte. Warum auch immer.
Weiß verhangen drei Bühnenwände, an den Ecken kleine Lücken zum Durschlüpfen, am Boden Schlitze zum Durchkollern und zum Lichtdurchlassen (Lichtdesign: Horst Mühlberger). Erst drei, dann fünf TänzerInnen erscheinen auf dem Tanzboden, um zu japanischem (?) Sprechgesang und John Zorns wimmerndem E-Gitarren-Sound ein konstruktivistisches Tanz-Schauspiel aufzuführen.
Vor drei Jahren schon war der berühmte David Zambrano zum Workshoppen in Bremen, bei artblau zeichnet er noch immer als Choreograph, weil er die fünf auf die Idee zu „AUX.muted“(ungefähr: stiller Helfer) brachte. „Ich glaube an die Dramaturgie der Bewegung“, wird Zambrano im Programm zitiert. Bewegung indes gibt es reichlich, die Dramaturgie aber muß man darunter suchen.
Bis auf Mittänzerin Birgit Freitag, in deren Gesicht immer was los ist, auch wenn nicht viel los ist, mimenkühl und asiatisch irgendwie serviert das Gefünft ein Mobile ständig wechselnder Figuren und geometrischer Anordnungen. Bald geben sich die TänzerInnen grenznah zum Autistischen. Bald suchen sie in plötzlichen Versteinerungen und Körpermodellierungen die Nähe von Aberwitz und Ironie. Und bald wagen sie sich an Synchrones (üben! üben!!). Also ist die Variation das einzig Konstante in diesem 50-Minuten-Stück.
Wie einzelne Gesten einer exotischen Zeichensprache zu entstammen scheinen (Aufklärungsschreiben bitte an die taz), so entrückt kommt dieses Schauspiel daher, selbst wenn die fünf TänzerInnen aus gängigen Trainingsmethoden schöpfen. Es ist schon seltsam, wie man sichtbar schwitzen und zugleich doch so distanziert wirken kann wie dieses Quintett. Andere ChoreographInnen hätten bei der Konstellation zwei Tänzer, drei Tänzerinnen Figuren-Geschichten-Dynamik inszeniert. Wieder andere hätten die schlafenden Pointen herausgekitzelt, doch diese hier betonen absichtsvoll (aber nicht immer in der dafür nötigen Perfektion) die reine Form. Ein kleines Wunder: Das ist sehenswert und fühlbar wird, wie diese Kunst für Kunst einen blitzschnell auf andere Gedanken bringt. Christoph Köster
Nächste Bremer Aufführung am 12. November im Schlachthof
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