Kalt wie toter Fisch

■ Betroffen: Bernard-Marie Koltès' „Die Nacht kurz vor den Wäldern“im Malersaal

„Das ist Theater“, rief Christoph Schlingensief. Der schwer alkoholisierte Werner Brecht hatte endlich seine scheußliche Puppe für 40 Mark an eine Zuschauerin versteigert. „Hallelujah!“Und das Publikum lachte, und Schlingensief scherzte und...

Aber halt, über ein anderes Theaterereignis ist hier zu berichten. Ein paar Türen weiter, ein paar Stunden früher. Ernsthafte Theaterkost aus dem zum nächtlichen Park umgestalteten Malersaal. Die Nacht kurz vor den Wäldern des französischen Dramatikers Bernard-Marie Koltès stand auf dem Programm, als Gastspiel aus Bochum. Ein schwermütiges Produkt aus einer bleiernen Zeit ist der 1977 uraufgeführte Monolog eines Mannes, der weder ein Zuhause noch Arbeit hat und einem namenlosen „Kameraden“unzusammenhängende Fragmente aus seinem Leben erzählt. Bernd Grawert spielt mit großer Zartheit den einsamen Fremden, dem sein Leben entgleitet. Zu allem Unglück ist der Mann in der U-Bahn noch gerade ausgeraubt worden. Und trotzdem berührt der wirre Monolog (Regie: Martin Baucks) nur in wenigen Momenten. In der eindringlichsten Szene kniet Grawert auf einer zum regennassen Asphalt stilisierten Glasplatte und zeichnet mit gelber Kreide das Wort „Mama“hinein, den Namen einer Frau, die er eine Nacht geliebt und danach nie wieder gesehen hat. Immer verzweifelter krakelt er das Wort auf den Boden, dreht sich dazu immer schneller im Kreis, bis die Linien vom Wasser verwischt werden und er erschöpft in die Pfütze sinkt.

Hier erreicht das Stück eine Intensität, doch über weite Strecken erzeugt der Monolog nervös angespannte Langeweile. Wer würde sich schon freiwillig knapp zwei Stunden das Gefasel eines Alkoholikers mit Verfolgungswahn anhören, der mit Apfelstückchen um sich wirft und einen toten Fisch streichelt? Und so läßt das Ganze einen eben kalt – wie ein toter Fisch.

Alles gut gemeint, doch das Theater der betroffenen Nachdenklichkeit kommt zwanzig Jahre zu spät. In den späten 90ern ist Reality-Theater mit echten Obdachlosen und Drogenkranken angesagt. Mit einem Missionar, der Witz und Charisma hat. Hallelujah!

Karin Liebe