: Künftig lange Wege torkeln
■ Krankenhausplan: Fachärzte warnen vor dem Abbau der 150 Berliner Entwöhnungsbetten für Alkoholiker und die Auslagerung nach Brandenburg. Suchthilfesystem wird ausgehebelt
Berlins Alkoholkranke müssen vielleicht schon bald lange Wege in Kauf nehmen, um einen Entwöhnungsplatz zu finden. Auf Initiative der Krankenkassenverbände sollen die 150 Entwöhnungsbetten der Stadt aus dem Krankenhausplan gestrichen und der mögliche Wegfall durch Entwöhnungsplätze in Brandenburg ersetzt werden.
Suchtexperten befürchten, daß dadurch ein weiterer Baustein des Suchtkrankenhilfesystems gefährdet sei, nachdem die Krankenkassen bereits im Sommer diesen Jahres die Dauer der Entgiftungsbehandlung für Alkoholkranke von 21 auf 7 Tage verkürzt hatten.
Auf einer Pressekonferenz der Arbeitsgruppe Sucht des Arbeitskreises Psychiatrie äußerten sich Vertreter von Kliniken und Verbänden gestern zu den aus ihrer Sicht dramatischen Auswirkungen dieser Pläne. „Es ist ein System, aus dem man nicht Teile herausreißen kann, ohne daß es gefährdet wäre“, sagte Chefarzt Dr. Uwe Büchner vom Krankenhaus Spandau über das bisherige Berliner Modell.
Gegenwärtig gehen Entgiftung, Entwöhnung und ambulante Nachsorge nahtlos ineinander über. In vier Fachstationen in Spandau, Hellersdorf, Weißensee und Reinickendorf werden Suchtkranke wohnungs- und arbeitsplatznah behandelt. Die Kosten der Reha-Behandlung werden gemeinschaftlich von Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern gezahlt. Durch die mögliche Verlagerung der Betten nach Brandenburg könnten die Kassen ihre Ausgaben senken und gleichzeitig zu einer Kostensenkung für Ost-krankenkassen beitragen.
Nach Ansicht der Mediziner würden jedoch „unüberwindliche Hindernisse für die Patienten“ entstehen. Das bisherige System sei „fachlich optimal und ökonomisch sehr sinnvoll“, erklärte Büchner.
Chefarzt Dr. Hansjürgen Keller von der DRK-Klinik in Wedding wies darauf hin, daß der Zusammenhang von Alkoholsucht und sozialen Problemen den Erhalt der Entwöhnungsbetten in Berlin erfordere. Die ersten Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und sozialer Misere seien bereits zu spüren. Allein in Spandau kam es im 1.Halbjahr 97 zu 200 Neueinweisungen mehr als im 1. Halbjahr 96. Unklar blieb gestern, welche Gründe im einzelnen hinter der Streichung im Krankenhausplan stecken. Bei der Senatsverwaltung für Gesundheit hieß es, daß mit der Maßnahme, die noch vom Senat beschlossen werden muß, nur eine „Falschzuordnung“ im Plan getilgt werde. Die Verlegung von Kapazitäten nach Brandenburg sei auch vorher möglich gewesen, da die Kostenträger frei mit den Versorgungseinrichtungen Verträge abschließen könnten und dabei nicht örtlich gebunden seien, erklärte Ingeborg Cordes, Leiterin des Referats Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungsplanung. Matthias Stausberg
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