Pol Pot: „Mein Gewissen ist rein“

Der berüchtigte Führer der Roten Khmer gibt sein erstes Interview seit 18 Jahren. Der ehemalige Diktator bestreitet darin jede Verantwortung für die Massenmorde unter seiner Herrschaft in Kambodscha  ■ Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – „Schauen Sie mich an. Bin ich ein Wilder? Mein Gewissen ist rein.“ Pol Pot, der berüchtigte Führer der Roten Khmer, unter deren Herrschaft in den siebziger Jahren in Kambodscha mehr als eine Million Menschen umkamen, hat sein Schweigen gebrochen. Zwei Stunden lang sprach er am 16. Oktober mit dem US-amerikanischen Reporter Nate Thayer. Dieses erste Interview seit 18 Jahren erschien gestern in der Hongkonger Zeitschrift Far Eastern Economic Review.

Ein alter Mann, der allein nicht mehr laufen kann, fährt am 16. Oktober vor einer Hütte im Dschungelstützpunkt Anlong Veng im Norden Kabodschas vor. So schwach und gebrechlich wirkt Pol Pot, daß der Reporter befürchten muß, nur wenige Minuten für das Gespräch Zeit zu haben. Was fragt man einen Massenmörder, der 37 Jahre lang an der Spitze einer geheimnisversessenen „Revolutionsbewegung“ stand und dessen Vergangenheit immer noch zu großen Teilen im Dunkeln liegt? „Sind Sie ein Massenmörder?“ Pol Pots Begleiter, ein hochrangiger Kader der Roten Khmer, läßt sich nur mit Mühe überreden, diese Frage zu übersetzen. „Alles was ich getan und wozu ich beigetragen habe, geschah an erster Stelle für die Nation und das Volk und die kambodschanische Rasse...“

Der Reporter versucht, den 72jährigen zu überreden, seine Verantwortung für die Grauen seiner Herrschaft zu übernehmen. Pol Pot denkt gar nicht daran. Ob er sich bei den Kambodschanern für das Leid entschuldigen wolle, das er über sie gebracht hat, fragt Thayer. Kurze Antwort: „Nein.“ Er habe ein paar „Fehler“ gemacht, gibt Pol Pot zu, aber zugleich habe er das Land vor dem Untergang gerettet: Nur er habe verhindern können, daß die verhaßten vietnamesischen Nachbarn Kambodscha „verschluckten“.

Unablässig wiederholt er die offizielle Linie, die seine Propagandasender seit der Vertreibung Pol Pots aus Phnom Penh 1979 verkünden: Nicht die Roten Khmer, sondern „vietnamesische Agenten“ seien für die Hinrichtungen und den Hunger verantwortlich gewesen. Selbst die Grauen des Foltergefängnisses von Tuol Sleng, in denen die Roten Khmer während ihrer Herrschaft 16.000 Menschen elend zugrunde gehen ließen, seien nichts weiter als vietnamesische Propaganda, behauptet er. Er habe von Tuol Sleng „niemals gehört“.

Die Geschehnisse in dem Gefängnis sind allerdings gut dokumentiert: Die Roten Khmer führten penibel Buch über alle Häftlinge, bevor sie sie umbrachten. Als die Vietnamesen Anfang 1979 Phnom Penh erhoberten, fanden sie die grausame Hinterlassenschaft: Leichen, Skelette und meterweise Akten mit Fotos und erpreßten Geständnissen der Ermordeten, selbst Kinder waren nicht verschont worden.

Viele der Opfer gehörten selbst zu den Roten Khmer, hatten lange Jahre im Dschungel an der Seite Pol Pots gekämpft. Doch das schützte niemanden davor, plötzlich als „Verräter“ oder „Spion“ entlarvt zu werden. Nur sechs der ursprünglich 22 Mitglieder im Zentralkomitee der „Partei des Demokratischen Kampuchea“, wie der offizielle Name lautete, haben das Regime überlebt. Wenn ihre Opfer unter der Folter nicht schnell genug zugaben, Agenten der CIA, des KGB oder Vietnams zu sein, holten sich die Folterer neue Anweisungen bei der „Organisation“. Damit war niemand anderes als Pol Pot selbst gemeint, sagen Fachleute.

So „kalt und und reuelos“ Pol Pot darüber spricht, wie er selbst langjährige Weggefährten brutal ermorden ließ, so angeregt wird er, wenn er über seine eigenen Krankheiten erzählt. Er habe 1995 einen Schlaganfall erlitten und sei nun fast immer ans Bett gefesselt, wo er den amerikanischen Sender Voice of America höre. „Ich langweile mich.“ Und zufrieden spricht er davon, wie er am Abend in trauter Runde mit seiner 12jährigen Tochter und der zweiten Frau am Abendbrottisch sitzt.

Er wird wohl niemals vor ein internationales Tribunal kommen. Zweimal haben die Roten Khmer, die seit dem blutigen Machtkampf im Juli nach eigenen Angaben jetzt unter der Leitung des ehemaligen Militärchefs Ta Mok stehen, der internationalen Öffentlichkeit ihre Version über das Ende Pol Pots dargeboten. Zuerst im Juli, als der gleiche Journalist, der seit vielen Jahren gute Kontakte zu der Organisation pflegt, Zeuge eines Schauprozesses wurde. Damals verurteilte „das Volk“ Pol Pot zu „lebenslang Hausarrest“. Nun legten die Roten Khmer mit dem Interview noch eins nach.

Die Wahrheit über die Roten Khmer bleibt im Dunkeln. Ta Mok hat angekündigt, man werden Pol Pot nur unter einer Bedingung an einen internationalen Gerichtshof ausliefern: Wenn der zweite Premierminister Hun Sen, der im Juli in Phnom Penh gegen seinen Ko- premier putschte, ebenfalls angeklagt werde. Dies bedeutet: niemals.

Hun Sen sieht das optimistischer: Er sagte gestern zu Pol Pots Äußerungen, nur das kambodschanische Volk könne über den Exdiktator richten, der möglicherweise noch vor Jahresende von Regierungstruppen festgenommen werde. In Kambodscha ist die Version des Exdiktators ungläubig und mit scharfer Kritik quittiert worden. „Das läuft der Wahrheit völlig zuwider“, sagte Sopheara Chey, der Direktor der Gedenkstätte Tuol Sleng in Phnom Penh. „Es ist überhaupt keine Frage, daß er den Völkermord mit voller Absicht ausführte.“