: Im deutschen Exil
323.000 bosnische Flüchtlinge suchten seit 1992 in Deutschland Zuflucht. Kein anderes Land hat so viele Bosnier aufgenommen – mehr als die Hälfte der Flüchtlinge. Das hat der Bundesrepublik weltweit Sympathien eingebracht, die jetzt, seitdem die Abschiebemaßnahmen laufen, wieder verspielt werden. Mit Stammtischparolen heizen Politiker wie Berlins Innensenator Schönbohm die Situation an: „Die Kriegsflüchtlinge sollten lieber in ihrer Heimat in die Hände spucken, anstatt in Deutschland die Hände aufzuhalten.“
Dabei wird den hier lebenden Flüchlingen das Leben schwer genug gemacht. Arbeiten? Der ehemalige EU- Verwalter von Mostar, Hans Koschnick, spricht gar von Mobbing durch deutsche Behörden. Der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sagte er, allein aus Niedersachsen lägen ihm mehr als 200 Hilferufe von Flüchtlingen vor. Entgegen dem Stufenplan der deutschen Innenminister verweigern zum Beispiel einige Arbeitsämter jungen Bosniern den Abschluß ihrer Ausbildung in Deutschland.
So schnell wie möglich sollen alle Bosnier die Bundesrepublik verlassen. Bislang sind mehr als ein Fünftel von ihnen freiwillig zurückgekehrt. Und jetzt wird kräftig abgeschoben.
Unberechenbar für die noch in Deutschland lebenden Flüchtlinge wird ausgewählt, wer als Nächster gehen muß. Da werden ohne Vorankündigung Menschen zur Abschiebung von der Polizei abgeholt, obwohl sie Wohnung und Arbeit haben und ein späterer Termin zur Anmeldung der Ausreise bei den Behörden schon feststeht. Da wird ein Ehepaar am Frühstückstisch festgenommen, obwohl es längst eine Einwanderungsgenehmigung in die USA besitzt. Andere bereiten seit Monaten ihre Rückkehr vor, werden aber von heute auf morgen zur schnellen Abreise gezwungen.
Die Bescheide werden nach undurchschaubaren Kriterien verschickt. Quer durch Generationen und Familien. Auch Kranke werden nicht verschont.
Diese scheinbare Wahllosigkeit der Behörden schafft ein Klima der Angst, macht Druck: auf die Betroffenen selbst wie auch auf die Bundesländer, die anders als Berlin und Bayern keine Abschiebepolitik nach der harten Linie betreiben.
Die Länder versuchen, ihre Härte mit dem von allen Kriegsparteien unterschriebenen Daytoner Vertrag zu legitimieren. Danach haben sämtliche Flüchtlinge das Recht, in ihre Heimat zurückzukehren.
Ein Recht, das de facto jedoch nur auf dem Papier existiert. Wer als Flüchtling nach Sarajevo zurückkehrt, steht auf der Straße, wenn er keine Verwandten hat. Mehr als fünfzig Prozent der Menschen sind dort arbeitslos.
Rückkehrer werden immer wieder mit Steinen begrüßt. Hinzu kommt auch hier Behördenwillkür: Ohne Meldeadresse keine Unterkunft. – Ohne Unterkunft keine Hilfe zum Lebensunterhalt. – Und ohne Wohnung keine Arbeit.
Positive Beispiele, wie es Flüchtlingen erleichtert werden kann, in ihre Heimat zurückzukehren – und die meisten wollen ja freiwillig gehen –, gibt es, wenn auch wenige. Auf Hilfe zur Selbsthilfe setzt vor allem Nordrhein-Westfalen. Mit Erfolg. Heimkehrer können finanzielle Unterstützung beim Land beantragen. Die Stadt Düren zum Beispiel hat ein Musterprojekt für Rücksiedler entwickelt. In der Stadt leben rund 500 bosnische Flüchtlinge, viele stammen aus jetzt serbisch kontrollierten Städten. In Absprache mit den bosnischen Behörden sollen 220 von ihnen in eine muslimische Gemeinde unweit ihrer alten Heimat ziehen. Mit Geldern der EU, der Internationalen Organisation für Migration, der Stadt und des Landes werden dort fünfzig Wohnungen gebaut. Diese Rückführung kostet 3,2 Millionen Mark, ist damit aber immer noch billiger als die Unterhalts- und Sozialkosten für die Flüchtlinge in Deutschland. Andreas Hergeth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen