Kommentar: Bretter zu Asphalt
■ Schlingensief geht und hinterläßt Kunst und Stadt eine Aufgabe
Unglaublich, aber wahr: 40 Jahre nach Bertolt Brecht, zwei Jahre vor der Jahrtausendwende und mitten in der schönsten Postmoderne müssen wir erkennen: Kunst und Welt sind doch nicht zwei getrennte Dinge.
Eine erste Verbindung hatte sich bei der documenta Ende September in Kassel offenbart, als Christoph Schlingensief wegen einer die Staatsmacht beleidigenden Performance festgenommen wurde. In Hamburg aber ging die Sache einen entscheidenden Schritt weiter: Da holte nicht die Polizei den Künstler, sondern der Künstler ging zur Polizei. Und räumte kräftig auf mit einer Reihe verboten gehörender Weltbilder – vor allem mit dem, daß Theater sei ein Paralleluniversum.
Sieben Tage harrte Christoph Schlingensief aus in seiner Bahnhofsmission in der Ex-Polizeiwache 11 in St. Georg, verteilte Suppe und bot ein Mikrophon. Er ging raus auf die Straße, in die Kirche, in die Peep-show, um mit jedem öffentlichen Auftritt mehr Beglückte und Verwirrte zurückzulassen. War das Performance? War das soziales Anliegen?
Die Aktion sei zynisch, hatte man Passion Impossible gleich zu Beginn vorgeworfen, weil sie ein kurzes Spektakel sei. Nun drehte der charismatische Mobilisator den Spieß mit einem genialen Dreh um: Er organisierte vier Container, die ab Montag als neue Mission vor dem Hauptbahnhof stehen könnten. „Die Staffel ist weitergereicht“, verabschiedete sich Schlingensief aus Hamburg.
Jetzt muß die Stadt ihre unverhofft Asphalt gewordenen Bretter der Welt betreten.
Christiane Kühl
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