Die in Edinburgh tagenden Staatschefs der Commonwealth-Mitgliedsländer mögen sich nicht auf einen Rausschmiß Nigerias festlegen. Nigerianische Bürgerrechtler werfen ihnen vor, mit dieser Haltung die Menschenrechtsverletzungen in der Militär

Die in Edinburgh tagenden Staatschefs der Commonwealth-Mitgliedsländer mögen sich nicht auf einen Rausschmiß Nigerias festlegen. Nigerianische Bürgerrechtler werfen ihnen vor, mit dieser Haltung die Menschenrechtsverletzungen in der Militärdiktatur zu verharmlosen.

Commonwealth hält Nigeria bei Laune

Neue Sanktionen oder einen Ausschluß Nigerias aus dem Commonwealth wird es höchstwahrscheinlich nicht geben. Bereits vor der offiziellen Eröffnung des Staatengipfels gestern nachmittag erteilte die zuständige ministerielle Aktionsgruppe des Commonwealth (CMAG) den Menschenrechten in ihrer Empfehlung an die in Edinburgh versammelten Staatsoberhäupter eine Absage. „Der Ausschluß Nigerias steht nicht zur Debatte“, erklärte Commonwealth-Generalsekretär Emeka Anyaoku nach dem Ministertreffen. „Er gehört nicht zu den Empfehlungen der CMAG.“

Vor dem Gipfel noch hatten Großbritanniens Premierminister Tony Blair und sein Außenminister Robin Cook ihre Entschlossenheit bekräftigt, mit der sie im Commonwealth für Sanktionen gegen Nigeria kämpfen wollen. In den Beratungen der CMAG am Donnerstag abend aber scheiterte die Koalition aus Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Jamaika, die für ein schärferes Vorgehen gegen das nigerianische Militärregime unter General Sani Abacha eintrat, an den afrikanischen Ländern und Malaysia. Nigeria bleibt, wie schon seit 1995, suspendiertes Mitglied des Commonwealth. Die ministeriellen Debatten haben nichts erreicht für die Bürgerrechtler in nigerianischen Gefängnissen.

Konkret empfehlen die Minister, vorerst nichts weiteres gegen Nigeria zu unternehmen, aber in einem Jahr – nach der versprochenen Einführung einer gewählten Regierung in Nigeria – neue Schritte zu überlegen, zum Beispiel ein Ölembargo. Während dieses Jahres solle die CMAG die Befugnis bekommen, Commonwealth-Sanktionen in den Bereichen Sportkontakte oder Waffenhandel zu verhängen. Der britische Außenminister Cook versuchte das gestern positiv darzustellen. „Das ist doch eine ziemlich direkte Erklärung“, sagte er. „Niemand sollte behaupten, dies sei ein weicher Maßnahmenkatalog, um damit Nigeria zu beschwichtigen.“

Nigerias Bürgerrechtler sehen das anders. Sie weisen darauf hin, daß der letzte Commonwealth- Gipfel Nigeria zwei Jahre gab, um Fortschritte in Richtung Demokratie zu machen oder die Organisation verlassen zu müssen. „Wenn wir den Maßstab anlegen, daß Versprechen gehalten werden, muß Nigeria rausgeschmissen werden“, sagte Wole Soyinka, Autor und Vorsitzender des Oppositionsbündnisses „United Democratic Front of Nigeria“ (UFDN), auf einer Pressekonferenz am Donnerstag abend. Er meinte, daß das Commonwealth seine Glaubwürdigkeit verspielt, wenn es im Falle Nigeria tatenlos bleibt. „Nigeria steht am Rande einer Explosion“, warnte er. „Wenn das nigerianische Volk sich verlassen fühlt, könnte es zu verzweifelten Formen des Widerstands kommen.“ Ken Wiwa, Sohn des 1995 hingerichteten Bürgerrechtlers Ken Saro- Wiwa, nannte das Verhalten des Commonwealth „Beschwichtigungspolitik“.

Wole Soyinka gab zu verstehen, daß man sich mit der Empfehlung der CMAG nicht zufrieden geben will. Verschiedene nigerianische Organisationen planten für die gestrige Eröffnungszeremonie des Gipfels Demonstrationen. Unzufrieden ist aber auch Nigerias Regierung: Aus Nigerias Hauptstadt Abuja mehren sich die Nachrichten, daß Nigeria das Commonwealth verlassen will, um eventuellen Aktionen vorzubeugen – ein Schritt, wie ihn zuletzt Südafrika 1960, zu Zeiten der Apartheid, unternahm.

Damit könnte das Militärregime das Commonwealth einmal mehr demütigen und bloßstellen – und damit nicht zuletzt seine mächtigsten Mitglieder Großbritannien und Kanada. Von seinem ursprünglichen Vorhaben, trotz Suspendierung zum Gipfel nach Edinburgh zu kommen, nahm Nigerias Außenminister Tom Ikimi in der Zwischenzeit wieder Abstand.

In einem Interview erklärte der britische Außenminister Cook gestern, daß nun die EU über ein Ölembargo und weitere Sanktionen gegen Nigeria entscheiden müsse. Großbritanniens Premier Tony Blair gab zu Protokoll, er glaube, daß die CMAG im Falle Nigerias eine richtige Empfehlung gegeben habe. Er ist nun sichtlich bemüht, die Aufmerksamkeit beim Gipfel auf andere Fragen zu lenken, zum Beispiel die der wirtschaftlichen Entwicklung.

Der Generalsekretär des Commonwealth, Emeka Anyaoku, selbst gebürtiger Nigerianer, blieb bei seiner ersten offiziellen Pressekonferenz zum Gipfel in Edinburgh enttäuschend vage und wich Fragen nigerianischer Delegierter von Menschenrechtsorganisationen wie auch nigerianischer Exiljournalisten wiederholt aus.

Alles weist also darauf hin, daß der Commonwealth-Gipfel bei seinen Beratungen in den nächsten Tagen die Frage der Menschenrechte unter den Teppich kehren wird – nicht nur im Falle Nigerias. Es hat den Anschein, daß die couragierte Entscheidung von vor zwei Jahren, als das Commenwealth unter dem Schock der Exekution von neun nigerianischen Bürgerrechtlern Nigeria suspendierte, eine einmalige Aktion war, erzwungen von der Kaltschnäuzigkeit der nigerianischen Militärs und einer empörten Weltöffentlichkeit. Anette Hornung, Edinburgh