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Krümmel vor dem Kadi

■ Erneuter Prozeß vor dem OVG Schleswig gegen das AKW: Muß jede Veränderung atomrechtlich neu überprüft werden?

Dem Atomkraftwerk Krümmel wird der Prozeß gemacht: Heute verhandelt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig erneut über eine umstrittene Genehmigung für Brennelemente, die 1991 in den Atommeiler eingebaut wurden. Auf der Anklagebank: das schleswig-holsteinische Energieministerium.

Als Aufsichtsbehörde hatte es 1991 den Einbau der neuen Brennelemente des Typs GE-11 genehmigt. Ohne, so der Vorwurf der Krümmel-Anwohnerin und Klägerin Renate Backhaus, zuvor geprüft zu haben, ob ein Zusammenhang besteht zwischen den gehäuften kindlichen Leukämie-Erkrankungen in der Umgebung des AKWs und dem Reaktorbetrieb. Backhaus, zugleich Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Niedersachsen und Mitglied der Grünen, sieht darin einen klaren Rechtsverstoß, der zur sofortigen Abschaltung des Reaktors führen müßte.

Nicht so das OVG Schleswig: Bereits einmal hat es die Klage von Renate Backhaus abgewiesen. Das war im November 1994. Damals argumentierte das Gericht, es gebe schließlich seit 1988 eine dauerhafte Betriebsgenehmigung für das AKW. Diese sei unanfechtbar.

So nicht, sagte sich Renate Backhaus und zog vor das Bundesverwaltungsgericht in Berlin. Das hob den OVG-Beschluß in dem „Berliner Backhaus-Urteil“im August 1996 wieder auf und entschied, die Klage müsse erneut vor dem OVG in Schleswig verhandelt werden. Was also heute geschieht.

Das Bundesverwaltungsgericht warf dem OVG „Rechtsfehler“vor. Es erklärte, daß einmal erteilte Betriebsgenehmigungen für das AKW nicht unbeschränkt gültig sein müssen. Unabhängig von einer Dauerbetriebsgeneh-migung müsse bei jeder Veränderung am Kraftwerk stets neu geprüft werden, ob diese die Sicherheit nicht beeinträchtige. Zweitens seien die Leukämien in der Elbmarsch bei Erteilung einer Betriebsgenehmigung zu berücksichtigen. Das entspreche dem „Gebot der Schadensvorsorge“. Damit erklärte das Bundesverwaltungsgericht, in der deutschen Atomrechtsgeschichte einmalig, einen Zusammenhang zwischen Krankheit und Reaktor für nicht ausgeschlossen.

Das OVG wird sich nun über diese Fragen Klarheit verschaffen müssen – durch Nachfrage beim Energieministerium oder Atomrechtsgutachtern. Ob der Justizstreit bereits heute beendet wird, wird bezweifelt: Voraussichtlich wird das Gericht weitere Beweisanträge stellen. Sollte Renate Backhaus Recht bekommen, heißt das zunächst nur, daß die 1991er-Brennelemente wieder gegen die alten ausgetauscht werden.

Heike Haarhoff

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