: „Plötzlich ändert sich alles an einem Tag“
■ Zwei Männer + zwei Frauen = vier neue, arbeitswütige Schauspielergesichter im Ensemble der shakespeare company
Alle verdienen gleich wenig, arbeiten dafür – selbstredend – viel zu viel, sind zudem ständig auf Tour, so daß nicht einmal Zeit bleibt, die neue Heimatstadt Bremen richtig kennenzulernen. Was zum Teufel treibt jemanden angesichts dieser Aussichten ins Ensemble der shakespeare company?
„Die Freiheit“, sagt Peter Pearce. Ach, wie schön. Jenes flüchtige Gefühl also, das RevolutionärInnen auf Barrikaden und militante AutofahrerInnen unter Gaspedalen zu finden hoffen: Im Theater am Leibnizplatz hält es sich versteckt? Offenbar, denn wie sonst wäre zu erklären, daß jemand freiwillig aus Los Angeles, dem Mekka der SchauspielgigantInnen, ins leicht verschnarchte Bremen kommt, um dort ausgerechnet in deutscher Sprache vor allem Shakespearestücke zu spielen?
Für den 31jährigen Kalifornier Pearce, Absolvent des New Yorker Lee Strassberg Institute und erster Akteur der company, dessen Muttersprache nicht deutsch ist, sind Spontanität und Improvisation die zentralen Reize seines Berufes. „Eine Gruppe wie die company, wo man täglich gezwungen ist, alle Jobs zu tun, ist das ideale Umfeld für mich.“Pearces Auswahlverfahren war denn auch deutlicher Beleg für dieses Selbstverständnis. „Am 1. September habe ich vorgesprochen, am 3. September habe ich die Arbeit aufgenommen.“Hemmungslose Flexibilität, Leidenschaft, Raserei: Sowas sieht die Arbeitgeberin natürlich gerne. Da fällt nicht weiter ins Gewicht, daß Pearce voherige Deutschlandgastspiele nicht gerade Theatergeschichte geschrieben haben. Nachdem die von ihm mitbegründete Theatergruppe „Die Company“(sic!) nach nur einer Inszenierung, Büchners Woyzeck, aufgab, spielte er Anfang '96 in Berlin „Lisbeth ist total zu“. Ein, wie Pearce lachend erzählt, „trashiges Stück“.
Auch Sebastian Kautz hat den Weg genommen, der auf den ersten Blick eher als Karriereknick zu deuten wäre. Kautz kommt aus Berlin, der deutschen Theatermetropole. Der 26jährige, dessen Laufbahn am Schauspielhaus Leipzig begann, korrigiert diesen Eindruck jedoch sofort. „Theater in Berlin ist doch seit einigen Jahren total langweilig. Die Volksbühne verhunzt auf immer gleiche Weise ihre Stücke, der Rest bedient mit spießigem Einerlei die Bürger.“Klong, das sitzt. Dennoch war Kautz' Abgang nach Bremen nicht geplant. „Ich habe einem Freund, der zum Vorspiel eingeladen war, assistiert. Ihn haben sie abgelehnt und mir statt dessen die Stelle angeboten.“So mußte der arme, von Fortuna schmählich mißachtete Freund ins öde Berlin zurückkehren, während Glückspilz Kautz nun für mindestens ein Jahr die Stücke spielen darf, „für die ich schließlich Schauspieler geworden bin“.
Auch Frau Kühns Weg aus München zur shakespeare company ist verschlungen. Die Bewerbung war tadellos: Lückenloser Lebenslauf, nettes Paßfoto, freundliches Anschreiben. Die company suchte aber einen Mann, und mit dem Vornamen „Sylvia“hat man da ziemlich schlechte Karten. Aber bekanntlich wird am Ende alles gut, so auch bei Sylvia Kühn. Als kurzfristig doch eine Frauenstelle zu besetzen war, war Kühn wieder im Gespräch und wenig später hatte ihre fünfjährige Tätigkeit in verschiedenen Gruppen der Münchener Offszene ein Ende. „Ich war es schon leid, mich dem permanenten Existenzdruck des freien Theaters auszusetzen.“Doch war der Leidensdruck nicht so groß, daß die gebürtige Mannheimerin den Weg an ein etabliertes Stadttheater gesucht hätte. „Da wäre ich bloß das Material eines Intendanten gewesen, und dazu hatte ich keine Lust.“
Da ist es also wieder, jenes Gefühl, daß Menschen über den großen Teich und an Stadttheatertoren vorbei weht: Freiheit. Susanne Höhne begründet ihren Wechsel zur shakespeare company nicht weniger lyrisch. „Wenn man Sehnsüchte erfüllt, dann ist man richtig“, sagt sie. Und ihre Sehnsucht war, nach über zweijähriger Tätigkeit am Hallenser Thalia Theater in einem Theaterkollektiv zu arbeiten. „Plötzlich“, bemerkt sie, „ändert sich das Leben innerhalb eines Tages.“An die Stelle der extremen Arbeitsteilung an den städtischen Theatern tritt die extreme Arbeitsbelastung des freien Theaters.
Höhne ist, obwohl jüngstes Mitglied der company, die älteste Neue und schon mehrmals zu sehen gewesen: Zuletzt als Wärterin in „Heinrich Heine, die Dame und der Tod“sowie in ihrem Bukowski-Waits-Solo „Huren wollen keine Ohren“. zott
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