Per Anhalter durch die Welt der Netze

■ Utopien Mangelware, die Wirklichkeit ein Brocken: Unter dem Titel „Internet statt Subjekt?“will die Angestelltenkammer Licht in die Informationsgesellschaft bringen

Ist es ein Kompetenzproblem? Das wäre überaus gemein. Doch jeweils erst einmal haben der Autor Friedwart Rudel und der Angestelltenkammer-Kulturreferent Peter Beier im Internet gesurft und fühlen sich trotzdem dazu berufen, eine durchaus hochkarätig besetzte Vortragsreihe zum Thema auf die Beine zu stellen. Man muß ja schließlich auch nicht am Krieg teilgenommen haben, um darüber zu reden. Womit wir beim Thema sind: „Internet statt Subjekt?“haben Beier und Rudel ihre am Donnerstag beginnende Reihe reichlich martialisch überschrieben.

Nach der vielfach Bestürzung auslösenden Eröffnung der Eisenbahnlinie Nürnberg-Fürth, der Automobilisierung oder der Einführung des Fernsehens tobt zur Zeit mal wieder ein Fassadenkampf: Die Krise des (deutschen) Sozialstaats, die Globalisierung, der „Weg in die Informationsgesellschaft“, das vermehrte Auftreten von Kurzsichtigkeit und Jugendkriminalität sowie andere Schlagworte werden allseits hemmungslos in einen Topf geworfen. Heraus kommt meistens ein Bla Bla vom Pseudokonflikt Mensch-Maschine oder besserenfalls eine Abwägung von Chancen und Risiken – es sei denn, man hat das Glück, trotz Verbalmartialik in einer Stadt mit Leuten wie Beier und Rudel zu leben.

„Das Bewußtsein hat die technische Entwicklung noch nicht eingeholt“, zitiert Friedwart Rudel den Eröffnungsredner Norbert Bolz und will „ihm“zusammen mit Beier auf die Sprünge helfen. Ein Mix von kulturwissenschaftlichen und an der ökonomischen oder Medien-Praxis orientierter Vorträge soll bis Mai gedankliche Ordnung in die unübersichtliche vermutlich dritte industrielle Revolution bringen.

Da steht ein Vortrag des Bremer Hochschullehrers Klaus Haefner über die Entwicklung der Informationstechnik einer Rede des Zeit-Redakteurs Uwe Jean Heuser gegenüber, der tatsächlich glaubt, daß die Computervernetzung (bloß:) „im Verein mit der Ökonomie“direkt zur Auflösung von Gemeinschaften und Institutionen führt. Oder da wird der Entwurf für eine neue Kommunikationspolitik von Radio Bremens Digitalisierer Wolfgang Hagen mit Florian Rötzers These vom Wettrüsten im Kampf um Aufmerksamkeit konfrontiert. Eine so bunte wie erhellende Mischung Geistesgut schwappt da heran, wenngleich die Frage nach einer (politischen) Ökonomie in der Vernetzung modisch kein Vortragstitelthema ist.

Ob sie selbst eine Ahnung haben, wie die vernetzte Welt in zehn Jahren aussieht, wollen wir noch wissen? Da schwanken ob der schwierigen Frage auch Peter Beier und Friedwart Rudel im Einerseits-Andererseits. Ein umfassendes Verschwinden von Vis-a-vis-Kommunikation einschließlich Lehrertätigkeiten sieht Peter Beier schlechterdings heraufdämmern und schätzt andererseits auch die weltweiten Kontaktmöglichkeiten des neuen Mediums Internet. Auch die ReferentInnen, ergänzt Friedwart Rudel, tun sich mit utopischen Ausblicken schwer.

Müssen wir also weiter warten, bis ein Huxley kommt, die Schöne neue Welt umschreibt und die Utopie ins Netz speist. Zwei Leser/Surfer/Schauer wären ihm garantiert, denn sowohl Beier als auch Rudel schwören, das Internet & Co künftig mehr nutzen zu wollen. ck

Norbert Bolz Eröffnungsvortrag „Schöne neue Medienwelt“am Donnerstag, 30. Oktober, um 20 Uhr im Kultursaal der Angestelltenkammer. Die Rede wird live im Internet (Adresse: http://www.perspektiven.kkm.de) übertragen.