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Mehr arbeitslos, sinkende Löhne

■ Der magere Aufschwung der deutschen Konjunktur ist auf dem Rücken der Beschäftigten erreicht, sagen die Wirtschaftsforscher in ihrem Herbstgutachten. Dabei wird es auch bleiben

Bonn (AP/rtr/AFP) – Der hauptsächlich aus einem Exportboom gespeiste Aufschwung in Deutschland geht bis auf weiteres an den Arbeitslosen vorbei. Das geht aus dem Herbstgutachten hervor, das die führenden Wirtschaftsinstitute gestern vorstellten. Sie sagen der Wirtschaft für 1997 ein Wachstum von 2,4 und für 1998 von 2,8 Prozent voraus. Die Arbeitslosenzahl steigt ihren Annahmen zufolge weiter, wenn auch langsamer. Auch der Nettolohnzuwachs bleibt 1998 mit „reichlich eineinhalb Prozent“ hinter der Wachstumsrate zurück. Das soll der Prognose zufolge auch für den Zuwachs des Steueraufkommens gelten.

Als Ursachen für die exportbedingte Erholung der Konjunktur führen die Institute „ausgeprägte Rationalisierungsanstrengungen in den letzten Jahren, seit 1996 moderat steigende Löhne und eine spürbare Abwertung der D-Mark“ an, dank derer die deutschen Anbieter Marktanteile zurückgewonnen hätten. Davon profitiere zwar auch die inländische Nachfrage nach Vorleistungsgütern seit Jahresbeginn, die Inlandsnachfrage nach Investitionsgütern nehme aber trotz steigender Gewinne und niedriger Zinsen nur wenig zu, ebenso wie der private Verbrauch. „Die kontroverse Diskussion um die Steuerreform und schließlich ihr Scheitern haben wohl auch die Bereitschaft gemindert, die Kapazitäten zu erweitern bzw. zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen.“

Einen Anstieg der Arbeitslosenzahl sagen die Institute auch für 1998 voraus, und zwar auf eine Durchschnittszahl von 4,42 Millionen. Das entspricht einer Quote von 11,5 Prozent. In diesem Jahr werden es voraussichtlich 4,38 Millionen – 11,4 Prozent. „Immerhin dürfte in Westdeutschland der Tiefpunkt bei der Beschäftigung allmählich erreicht sein“, schrieben sie. Auch „die Lohnsteigerungen werden 1998 nur geringfügig höher sein als in diesem Jahr“, erklärten die Wirtschaftsforscher.

Mit der Senkung des Solidaritätszuschlags und der Anhebung des Grundfreibetrags würden zwar die Einkommen entlastet, „gegenzurechnen ist allerdings die gleichzeitige Anhebung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung. Insgesamt wird die Nettolohn- und -gehaltssumme, die in diesem Jahr deutlich gesunken ist, 1998 um reichlich eineinhalb Prozent zunehmen.“ Daraus ergebe sich, daß der private Verbrauch mit zwei Prozent etwa doppelt so stark zunehmen werde wie in diesem Jahr.

Der Finanzminister wird vorerst ebenfalls kaum vom Aufschwung profitieren. „Nach den schwachen Steuereingängen im bisherigen Jahresverlauf zeichnet sich ab, daß die Steuereinnahmen ... das Vorjahresergebnis nur knapp übertreffen werden“, hieß es in dem Gutachten. Im Vergleich zur Prognose des Arbeitskreises Steuerschätzung ergäben sich Mindereinnahmen von etwa 16 Milliarden Mark.

Die Opposition von SPD und Grünen kritisierte die Eergebnisse des Gutachtens daher gestern vehement. Der SPD-Wirtschaftsexperte Ernst Schwanhold sagte, nur mit „straffen Zügeln“ in der Wirtschaftspolitik könnten „die Pferde den im Dreck steckenden Karren wieder flottmachen“. Deutschland brauche eine Wirtschaftspolitik, von der Signale ausgingen, „von der die Moderation der Beschäftigungsbündnisse wahrgenommen wird und von der die richtigen Weichenstellungen vorgenommen werden“. Die Grünen-Vorstandssprecherin Gunda Röstel sagte zum prognostizierten Anstieg der Arbeitslosigkeit: „Die Bundesregierung hat diesen Trend bisher blind ignoriert.“ Laut Herbstgutachten wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das 1996 bei 1,4 Prozent gelegen hatte, 1997 in Deutschland 2,4 Prozent und 1998 sogar 2,8 Prozent erreichen.

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